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Grundlagentexte zum Zionismus
ALTNEULAND -
Der utopische Roman von Theodor Herzl
ERSTES BUCH:
Ein gebildeter und verzweifelter
junger Mann
Drittes Kapitel (b)
Die Frau war auf ihr Lager zurückgesunken
und schluchzte bitterlich vor Freude. Chajim Littwak begann ein hebräisches
Gebet zu murmeln. Friedrich ging, von David begleitet, hinaus und die Treppe
hinunter. Als sie im zweiten Stock waren, hielt David, der die Kerze hoch
trug, an, und sagte: "Gott wird aus mir e starken Mann machen. Dann werd'
ich Ihnen zahlen."
Friedrich war von dem Ton und 'den Worten
des Kleinen überrascht. Es war etwas eigentümlich Festes, Reifes in seiner
Art.
"Wie alt bist du?" fragte er ihn.
"Mir scheint zehn Jahr'," antwortete David.
"Was willst du werden?"
"Lernen will ich. Viel lernen!"
Friedrich seufzte unwillkürlich: "Und
glaubst du, daß das genügt?"
"Ja!" sagte David. "Ich hab' gehört, wenn
man gelernt hat, is man stark und frei. Gott wird mir helfen, daß ich lernen
kann. Dann werd' ich mit meine Eltern und Mirjam' nach Erez Israel gehn."
"Nach Palästina?" fragte Friedrich erstaunt. "Was willst du dort?"
"Das is unser Land. Dort können wir
glücklich werden!" Der arme Judenjunge sah gar nicht lächerlich aus, als er
sein Zukunftsprogramm energisch in zwei Worten angab. Friedrich mußte an die
läppischen Humoristen Grün und Blau denken, die über den Zionismus ihre
schälen Witze rissen. David fügte noch hinzu: "Und wenn ich etwas hab',
werd' ich Ihnen zahlen."
"Ich hab ja das Geld nicht dir gegeben,
sondern deinem Vater," meinte Friedrich lächelnd.
"Was man mei' Taten gibt, hat man mir
gegeben. Ich werd' es zahlen — Gutes und Schlechtes." David sagte es
energisch und ballte seine kleine Faust gegen die Hausmeisterwohnung, vor
der sie jetzt angelangt waren.
Friedrich legte seine Hand auf das Haupt
des Jungen: "Möge dir der Gott unserer Väter beistehen l"
Und er wunderte sich selbst über seine
Worte, nachdem er sie gesprochen. Seit den Tagen der Kindheit, da er mit
seinem Vater zum Tempel gegangen war, hatte Friedrich vom "Gott unserer
Väter" nichts mehr gewußt. Diese merkwürdige Begegnung aber weckte das Alte,
Vergessene in ihm auf, und sekundenlang überflog ihn ein Heimweh nach dem
starken Glauben der Jugendzeit, in der er mit dem Gott der Väter noch in
Gebeten verkehrte.
Der Hausmeister schlurrte heran. Friedrich
sagte ihm: "Von jetzt ab werden Sie diese armen Leute in Ruhe lassen — sonst
haben Sie es mit mir zu tun! Verstanden?"
Da
diese Worte von einem neuerlichem Trinkgelde begleitet waren, begnügte sich der
Grobe, ein "Küß' d' Hand, Euer Gnaden!" zu murmeln. Friedrich gab dem kleinen
David die Hand und trat auf die einsame Lände hinaus.
Fortsetzung...
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