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Grundlagentexte zum Zionismus
ALTNEULAND - Der utopische Roman von Theodor Herzl

ZWEITES BUCH:
Haifa 1923

Erstes Kapitel

DIE JACHT KINGSCOURTS FUHR WIEDER DURCH DAS ROTE MEER, aber in umgekehrter Richtung. Kingscourts Bart und Haare waren schneeweiß geworden. Auch Friedrich konnte, vor dem Spiegel seiner Kajüte stehend, an seinen Schläfen die ersten Silberfäden entdecken.

Der Alte rief ihn aufs Verdeck: "Holla, Fritz! Kommen Sie 'n bißchen rauf!"
"Was wollen Sie, Kingscourt?" sagte er, indem er hinaustrat.

"Hol mich der Deibel, wenn ich das verstehe. Seit wir da im Roten Meere fahren, hab' ich noch sehr wenige Personendampfer gesehen. Frachtschiffe, ja, viele. Erinnern Sie sich denn nicht, wie das vor zwanzig Jahren war, anno neunzehnhundertundzwei? Da war doch Verkehr hier. Ostindienfahrer, Chinaschiffe! Die lumpigen Dampfer, die wir jetzt treffen, gehen nur nach den afrikanischen Häfen und Madagaskar. Ich habe mich bei dem Vieh von einem Lotsen nach jedem passierenden Schiffe erkundigt. Es gibt keine Ostindier, Japaner und Chinesen mehr in diesen Gewässern; wie gesagt, nur Frachten. Am Ende hat England seit wir weg waren, seinen indischen Besitz verloren? Kreuzmillionen-schockschwerenot — an wen?"

"Fragen Sie doch den Lotsen, wenn es Sie interessiert!"
"Nischt wird jefragt! Das heb' ich mir alles auf, bis wir in Europa sind. Ich bin nicht neugierig — sind Sie's vielleicht, Fritzkchen?"
"Nein, Kingscourt. Mir ist alles gleichgültig. In den zwanzig Jahren hat' ich jedes Interesse an den Vorgängen außerhalb unserer lieben Insel verloren. Mir lebt kein Freund mehr, kein Blutsverwandter. Wonach sollte ich mich erkundigen?"

Kingscourt hatte sich es auf einem ruhebettartigen Lehnstuhl bequem gemacht und schmauchte eine große Havanna: "Na, übel ist Ihnen unsere Insel nicht bekommen, Fritz! Wenn ich denke, was Sie für'n grüner Judenjunge mit eingesunkenem Brustkasten waren, als ich Sie mitnahm. Heute sind Sie 'n Baum von einem Menschen. Mir scheint, Sie könnten jetzt den Weibern gefährlich werden."

"Sie sind komplett verrückt, Kingscourt!" lachte Friedrich. "Zu Ihrer Ehre will ich annehmen, daß Sie mich nicht nach Europa schleifen, um mich zu verheiraten."

Kingscourt wälzte sich vor Lachen: "So'n Rabenvieh!l Verheiraten! Für'n solchen Hornochsen halten Sie mich doch nicht? Was fing' ich dann mit Ihnen an?"
"Na, vielleicht ist es eine feine Art, mich loszuwerden. Sie haben meine Gesellschaft wohl satt gekriegt?"

"Nu fischt das Rabenvieh noch nach Komplimenten!" schrie der Alte, dessen Gemütlichkeit sich gern in Schimpfworten austobte. "Sie wissen doch sehr gut, Fritzchen, daß ich ohne Sie nicht mehr leben könnte. Die ganze Reise hab' ich doch nur Ihretwegen unternommen. Damit Sie dann wieder ein paar Jahre mit mir Geduld haben."
"Hören Sie, Kingscourt, Sie wissen, ich kann nicht grob sein - wenigstens nicht so grob, wie Sie. Aber das ist, gelinde gesagt, eine..."

"Eselei?"

"Etwas dergleichen!... Wann habe ich eine Ungeduld gezeigt? Ich war glücklich auf unserer Insel, vollkommen glücklich. Diese zwanzig Jahre sind mir vergangen, wie ein Traum. War es gestern, daß Sie hier Ihre Abschiedsrede an die Zeit hielten? Ich wäre auch nie mehr weg von unserer seligen Insel, ich nicht!  Und nun wollen Sie mir weismachen, daß Sie meinetwegen nach Europa fahren. Schämen Sie sich, alter Mann, daß Sie solche faule Ausreden gebrauchen. Sie sind neugierig, wie's drüben aussieht. Sie wollen hin — nicht ich! Der beste Beweis, daß ich mir nichts mehr aus der bewohnten Welt mache, ist der, daß ich alle die Jahre hindurch keine Zeitung in die Hand genommen habe."

"Kunststück, wir hatten keine auf unserer Insel. Das war meine oberste Gesundheitsmaßregel: keine Zeitung !"

"So? Vor einigen Jahren kam eine Sendung von Rarotonga. Da waren alle Gegenstände der Kiste in englische und französische Tagesblätter eingewickelt. Einen Augenblick war ich in Versuchung, sie zu lesen. Wenn sie auch Monate oder Jahre all waren, für mich enthielten sie jedenfalls neues. Wir schrieben damals 1917, und ich hatte seit fünfzehn Jahren nichts mehr von der Welt gehört. Aber ich raffte die Blätter alle zusammen und verbrannte sie ungelesen. Und jetzt sagen Sie noch, daß ich mich zurücksehne."

Der Alte schmunzelte behaglich: "Na, wenn Sie mir auf meine Lügen kommen, dann will ich's gestehen. Ja, ich möchte wissen, was aus der niederträchtigen Welt geworden ist. Ob die Menschen noch immer so schlecht und dumm sind wie dazumal."

"Mein guter Kingscourt, ich wette, wir werden froh sein, wenn wir nach unserer stillen Insel zurückkehren können."

"Bei der Wette finden Sie keine Konterpartie. Ich wette dasselbe."

Die Jacht durchlief die Wasserstraße von Suez. In Port Said stiegen sie wieder ans Land. Im Hafen war ein lebhafter Güterverkehr, aber zwischen den verfallenden Bazaren der Stadt war der bunte, vielsprachige Spaziergang nicht mehr zu gehen, der einst die Originalität des Ortes war. Hier kreuzten sich ehemals die Wege der Menschen, die vom Westen nach dem Osten und von Osten nach Westen zogen. Man war hier ehemals den elegantesten Globetrottern begegnet, und jetzt lungerten vor den schmutzigen Kaffeehäusern außer den Eingeborenen nur einige halb betrunkene Matrosen.

Kingscourt und Friedrich waren in einen Laden eingetreten, um Zigarren zu kaufen. Sie verlangten bessere Sorten. Da sagte der griechische Händler klagend:

"Führen wir nicht. Kommen ja keine Käufer mehr. Kommt niemand mehr, der feine Zigarren will. Nur Matrosen um Kautabak, schlechte Zigaretten."

"Wie ist das möglich?" fragte Kingscourt. "Wo sind denn die Reisenden, die nach Indien, Australien, China gehen?"

"Oh, die sind schon lange fort. Die fahren jetzt auf dem anderen Weg."

"Auf einem anderen Weg?" rief Friedrich. "Was gibt es denn für einen anderen? Doch nicht um das Kap der guten Hoffnung?"

Der Händler sagte ärgerlich:

"Der Herr will über mich lachen. Das weiß doch jedes Kind, daß man nach Asien nicht mehr durch den Suezkanal fährt."

Die Rückkehrenden sahen einander betroffen an. Dann brummte Kingscourt:

"Natürlich weiß das jedes Kind. Sie werden uns doch nicht für so unwissend halten, daß wir nichts von dem verdammten neuen Kanal gehört haben."

Da schlug der Grieche wütend auf den Ladentisch:

"Machen Sie, daß Sie hinauskommen! Zuerst foppen Sie mich mit teuren Zigarren, dann machen Sie solche dummen Witze. Hinaus!"

Kingscourt wollte über den Tisch langen und dem Griechen eins über den Schädel geben, aber Friedrich zog den alten Hitzkopf fort:

"Es scheint, in unserer Abwesenheit ist etwas Großes vorangegangen, was wir nicht wissen, Kingscourt."

"Hol' mich der Deibel, das glaub' ich auch. Das müssen wir also zuerst rauskriegen."

Im Hafen erfuhren sie es vom Kapitän eines deutschen Kauffahrers. Der Verkehr zwischen Europa und Asien hatte einen neuen Weg genommen: über Palästina.

"Da, gibt es denn dort Häfen, Eisenbahnen?" fragte Friedrich.

Der Kapitän lachte herzlich:

"Ob es in Palästina Häfen und Bahnen gibt? Herr, von wo kommen Sie denn? Haben Sie denn nie eine Zeitung oder einen Fahrplan gesehen?"

"Nie, will ich nicht sagen. Aber einige Jahre ist es doch schon her... Palästina kennen wir übrigens als ein wüstes Land."

"Ein wüstes Land!,.. Gut, wenn Sie das ein wüstes Land nennen wollen, ich bin es zufrieden. Nur sind Sie dann sehr verwöhnt."

"Hören Sie, Kapitän," rief Kingscourt, "wir wollen Ihnen reinen Wein einschenken. Wir sind ein paar verdammt unwissende Bengels. Wir haben uns zwanzig Jahre um nichts als um unser Vergnügen gekümmert. Also was ist das mit dem ollen Palästina?"

"Wenn ich Ihnen das erzählen wollte, brauchte ich mehr Zeit als Sie, um von hier hinzufahren. Kommt es Ihnen auf ein paar Tage nicht an, so machen Sie doch den kleinen Umweg. Sie finden übrigens in Haifa und Jaffa die schnellsten Schiffe nach allen europäischen und amerikanischen Häfen, falls Sie Ihre Jacht verlassen wollen."

"Nee, unsere Jacht verlassen wir nicht. Aber den Umweg können wir ja machen, Fritze? Was meinen Sie? Woll'n wir nochmals das Land Ihrer Vorfahren besichtigen?"

"Mich zieht es dahin ebensowenig, wie nach Europa. Ganz egal!"

Und sie steuerten nach Haifa.

Es war eines Frühlingsmorgens nach einer der in diesen Meeren so weichen Nächte, als die Küste Palästinas in Sicht kam. Die beiden standen auf der Kommandobrücke und lugten seit zehn Minuten unverwandt durch ihre Ferngläser nach derselben Himmelsgegend aus.

"Man möchte schwören, daß dort die Bucht von Akko ist," sagte Friedrich.

"Man könnte auch das Gegenteil schwören," meinte Kingscourt. "Ich habe noch das Bild dieser Bucht in der Erinnerung. Vor zwanzig Jahren war sie leer und öde. Aber da rechts, das ist doch der Karmel, und da drüben links ist Akko."

"Wie verändert!" rief Friedrich. "Da ist ein Wunder geschehen."

Sie kamen naher. Nun konnten Sie schon durch ihre guten Gläser die Einzelheiten etwas besser sehen. Auf der Rheede zwischen Akko und dem Fuße des Karmel ankerten riesige Schiffe, wie man deren schon am Ende des neunzehnten Jahrhunderts zu bauen pflegte. Hinter dieser Flotte sah man die anmutige Linie der Bucht. An der Nordspitze Akko in alter orientalischer Bauschönheit, graue Festungsmauern, dicke Kuppeln und schlanke Minarets, die sich vom Morgenhimmel reizend abhoben. An diesen Umrissen war nicht viel anders geworden. Aber südwärts unterhalb der ruhmreich schwergeprüften Stadt, am Bogen des Uferbandes, war eine Pracht entstanden. Tausende weißer Villen tauchten, leuchteten aus dem Grün üppiger Gärten heraus. Von Akko bis an den Karmel schien da ein großer Garten angelegt zu sein, und der Berg selbst war auch gekrönt mit schimmernden Bauten.

Da sie vom Süden kamen, verdeckte ihnen der Bergvorsprung zuerst den Anblick des Hafens und der Stadt Haifa. Nun aber lag auch diese vor ihnen, und da waren die Deibel Kingscourts überhaupt nicht mehr zu zählen.

Eine herrliche Stadt war an das tiefblaue Meer gelagert. Großartige Steindämme ruhten im Wasser und ließen den weiten Hafen dem Blicke der Fremden sogleich als das erscheinen, was er wirklich war: der bequemste und sicherste Hafen des mittelländischen Meeres. Schiffe aller Größen, aller Arten, aller Nationen hielten sich in dieser Geborgenheit auf.

Kingscourt und Friedrich waren wie betäubt Auf ihrer zwanzig Jahre alten Seekarte fand sich nichts von dieser Hafenstadt, und nun war sie wie hergezaubert. Die Welt war also während ihrer Abwesenheit nicht stillgestanden.

Die Jacht ging vor Anker. Dann fuhren sie im Landungsboote durch das verblüffende Gewühl der Schiffe hindurch nach dem Kai. Sie tauschten in kurzen abgerissenen Sätzen ihre Eindrücke aus.

An den steinernen Stufen des Uferdammes legte ihr Boot an. Sie stiegen aus. Einige Schritte von ihnen entfernt wollte eben ein Herr die Stufen hinab gehen, zu der elektrischen Barke, die offenbar seiner harrte. Als dieser die beiden erblickte, blieb er betroffen stehen. Er starrte Friedrich mit weit aufgerissenen Augen an.

Der Alte bemerkte es und brummte:

"Was hat denn der Kerl? Sollte er noch nie zwei zivilisierte Menschen gesehen haben?"

Friedrich lächelte:

"Das ist nicht anzunehmen. Die Leute da auf dem Kai schauen zivilisierter aus als wir. Es könnte eher sein, daß wir ihm veraltet vorkommen. Sehen Sie doch da hinauf! Dieses weltstädtische Treiben auf der Straße. Die vielen gut gekleideten Menschen. Ich glaube, unsere Anzüge sind ein bißchen aus der Mode."

Sie hatten dem Bootsmanne aufgetragen, sie an derselben Stelle zu erwarten und schritten über andere Steintreppen der erhöhten Straße zu, von deren Treiben sie am Wasserrande schon etwas gesehen hatten. Um den Unbekannten, der sie so auffallend anstarrte, kümmerten sie sich nicht weiter. Doch er folgte ihnen. Er bemühte sich, die Sprache zu erlauschen, in der sie redeten. Jetzt war er dicht hinter ihnen, jetzt streifte er vorbei und blieb mit einem Ruck vor ihnen stehen.

"Herr!" brauste Kingscourt auf, "was wollen Sie eigentlich von uns?"

Der Fremde gab ihm keine Antwort, sondern wandte sich an Friedrich, mit einer männlich warmen, aber vor Erregung zitternden Stimme:

"Sind Sie der Doktor Friedrich Löwenberg?"

Aufs tiefste überrascht, an so fremdem Ort plötzlich seinen Namen zu hören, entgegnete dieser:

"So heiße ich."

Da riß ihn der Unbekannte stürmisch an seine Brust und küßte ihn auf beide Wangen. Dann ließ er ihn los und wischte sich die Tränen aus den Augen.

Es war ein junger, kräftiger, hochgewachsener Mann von dreißig Jahren mit sonnengebräuntem Gesicht, das ein kurzer, schwarzer Bart umrahmte.

"Und wer sind Sie?" fragte Friedrich, nachdem er sich von der stürmischen Begrüßung erholt hatte.

"Ich! Sie werden sich wohl meiner nicht mehr erinnern. Ich heiße David Littwak."

"Der kleine Junge vom Café Birkenreis?"

"Ja, Herr Doktor! ... Derselbe, den Sie vom Hungertode gerettet haben, samt seinen Eltern und seiner Schwester."

"Ach, sprechen wir nicht davon!" wehrte Friedrich ab.

"Im Gegenteil! Wir werden noch viel davon sprechen. Was ich bin und habe, verdanke ich Ihnen. Zunächst sind Sie mein Gast - und wenn dieser Herr Ihr Freund ist, so ist auch er bei mir zu Hause."

"Das ist mein bester, einziger Freund in der Welt, Mr. Kingscourt."

>> Fortsetzung

 
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