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Judentum und Israel
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Grundlagentexte zum Zionismus
ALTNEULAND - Der utopische Roman von Theodor Herzl

DRITTES BUCH:
Das blühende Land

Erstes Kapitel

ES WAR EIN WONNEVOLLER FRÜHLINGSMORGEN, an dem die Gesellschaft von Friedrichsheim aufbrach,  um nach Tiberias zu fahren. Ein mächtiger Reisewagen mit motorischem Betrieb hielt vor der Freitreppe. Das Gefährt konnte ein Dutzend Personen fassen.

"Donnerwetter !" schrie Kingscourt gutgelaunt. "Das ist ja die Arche Noah. Da hätte all sündhaft Vieh und Menschenkind Platz."

"Wir werden im ganzen nur elf Personen sein," sagte David.

"Elf? Ich sehe nur neun," zählte Kingscourt. "Sie scheinen Fritzchen für drei zu rechnen. War übrigens kein schlechter Einfall, daß Sie den Burschen mitnehmen."

Fritzchen schien auf dem Arm seiner Kinderfrau zu verstehen, daß von ihm die Rede war. Mit lautem jauchzenden "O — o !" streckte er die Händchen verlangend nach Kingscourts weißem Bart aus.

"Wir werden unterwegs noch zwei Freunde abholen," sprach Frau Sarah. "Reschid Bey und den Architekten Steineck."

Unterdessen hatten Diener vielerlei Handgepäck an den Wagen herangebracht und es in die unter den Sitzen befindlichen Hohlräume geschoben. Nur ein Speisekorb, welcher Milchflaschen für Fritzchen und noch einige Lebensmittel enthielt, wurde auf einen oberen Platz gestellt Hintenauf stiegen der Heizer und ein schwarzer Diener. Auf den vorderen gepolsterten Bänken saßen Mirjam, Sarah und Friedrich. Kingscourt wollte in dem durch eine Glaswand geschützten Wagenteile sitzen, angeblich, um vor dem Winde geborgen zu sein, in Wirklichkeit, weil er gehört hatte, daß Fritzchen da unterkommen solle. Er kletterte auch zuerst hinein und ließ sich das Kind reichen. Als aber Fritzchen auf Kingscourts Arm war, klammerte es sich fest an ihn und mochte um keinen Preis mehr zu seiner Kinderfrau zurück. David, der als letzter einstieg, versuchte es mit väterlicher Strenge. Vergeblich.

Kingscourt war sehr böse, wenigstens in Worten: "So'n ungezogener Bengel! Wirst du gleich weggehen!"

David bat: "Geben Sie ihn mir l Ob er nun heult oder nicht." Kingscourt dachte nicht im entferntesten daran, das Bübchen loszulassen. Er hatte es sich auf den Schoß gesetzt und kitzelte es an der Brust, unter dem Kinn, bis es laut lachte.

"So'n Kerl ! Dem liegt freilich nichts daran, wenn der alte Kingscourt zum Gespött von ganz Haifa wird. Zum Glück kennt mich hier keiner !"

Und so fuhr der Reisewagen zum Tore von Friedrichsheim hinaus. Hinten der schwarze Diener blies lustige Stückchen auf seinem blechernen Horn. Fritz klatschte vergnügt in die Hände.

"Guck' mal!" sagte Kingscourt, "das ist ja fast wie in der guten Zeit. Der Schwager mit dem Posthorn."

David bemerkte: "Er bläst, um uns bei Reschid anzukündigen. Wir wollen unterwegs keine Zeit verlieren."

Sie fuhren die nun schon bekannte Karmelstraße talwärts. Richtig stand Reschid Bey schon vor seinem Hause, reisefertig. Die Begrüßung war herzlich und fröhlich. Hinter dem Holzgitter eines Fensters im ersten Stock erhob sich eine schöne, weiße Frauenhand und winkte mit dem Taschentuche.

Frau Sarah rief lächelnd hinauf zur Unsichtbaren:

"Grüß dich Gott, Fatma! Wir werden dir deinen Mann unbeschädigt zurückbringen, sei ganz ruhig!"

Und Mirjam rief: "Küß mir deine Kinder, Fatma!"

Nun war auch das kleine Gepäck Reschids im Wagenkasten versorgt. Der Bey saß neben David. Noch die letzten Abschiedsgrüße an die winkende weiße Frauenhand hinter dem Holzgitter, und die Motorarche pustete weiter.

Friedrich wandte sich zu seiner Nachbarin Mirjam:

"Die arme Frau muß nun allein zu Hause bleiben."

"Sie ist ein so zufriedenes, heiteres Weib," erwiderte Mirjam.

"Ich bin überzeugt, daß sie ihrem Manne die Freude dieses Ausflugs von Herzen gönnt. Und er führe nicht mit uns, wenn es für sie eine Kränkung wäre. Er und sie sind wahrhaft gute Menschen."

"Immerhin bewundere ich die Frau, die gefügig hinter ihrem Gitter bleibt — an solch einem Morgen, meine Damen !"

"Nicht wahr?" sagte Sarah mit strahlender Miene. "Solche Frühlingstage gibt es nur in unserem Lande. Das Leben schmeckt hier besser, als irgend anderswo."

Auch Friedrich fühlte sich durchströmt von Glück, er wußte es sich gar nicht zu erklären. Er war wieder jung, ja übermütig, und in dieser Laune gefiel es ihm, seine reizende Nachbarin zu necken:

"Wie ist es aber mit der Schule, Fräulein Mirjam? Heute haben Sie wohl die Pflichten ein bißchen an den Nagel gehängt?"

Mirjam lachte:

"Er weiß nichts, rein nichts mehr vom Judentum !... Erfahren Sie denn, mein Herr, daß heute unsere Osterferien begonnen haben. Wir fahren ja darum zu den Eltern nach Tiberias, weil wir dort den Seder feiern wollen. Hat Ihnen David nichts davon gesagt?"

"Ihr Bruder deutete einige Male darauf hin, daß wir in Tiberias mehr von der Judenwanderung hören sollten. So war's also zu verstehen? Nun, die Wanderung aus Mizraim kenne ich ja noch von meiner Knabenzeit her."

"Vielleicht hat er auch etwas anderes gemeint," sprach Mirjam in nachdenklichem Tone.

Der Reisewagen war inzwischen am unteren Ende der Karmelstraße angekommen, hatte aber nicht die Richtung nach dem Mittelpunkte der Stadt, sondern rechts ab genommen. Es war die Vorstadt, die der Kison durchfloß. Sie kamen auf einen mit Bäumen bepflanzten Kai. Vor einem entzückenden Palästchen hielten sie an. Da stand ein heftig gestikulierender Herr, der einen grauen Schnurrbart hatte und mit zurückgeworfenem Kopfe über den Rand seines abrutschenden Kneifers hinweg die Ankömmlinge betrachtete:

"Ich wäre an eurer Stelle gar nicht gekommen !" schrie er ihnen entgegen. "Seit einer halben Stunde steh' ich mir da die Beine in den Leib. Ich werde nie wieder pünktlich sein."

David hielt ihm statt jeder Antwort die Taschenuhr vor die Augen.

"Das beweist nichts," rief Steineck; "Ihre Uhr geht zu langsam. Ich glaube überhaupt nicht an Uhren... Da, nehmen Sie meine Pläne ! Aber nicht verdrücken, bitte ! So, und jetzt rückwärts fertig." Er hatte die drei großen Kartonrollen, die er unter dem Arme gehalten, David und Reschid zugeschoben und war schnaufend in den Wagen geklettert. Aber kaum war dieser in Bewegung, so schrie Steineck klagend auf:

"Halt, halt! Zurück! Ich habe meine Reisetasche vergessen."

"Man wird sie Ihnen mit dem großen Gepäck nachschicken," beschwichtigte ihn David. "Sie wissen, daß ich unser Gepäck auf der Eisenbahn direkt nach Tiberias schaffen lasse, weil wir doch den Umweg machen."

"Unmöglich !" jammerte der Architekt. "Ich habe meine Rede in der Reisetasche. Wir müssen zurück."

Sie mußten zurück. Die Handtasche wurde geholt, aufgeladen, Steineck atmete erleichtert und wurde plötzlich sehr gut gelaunt. Es waren aber in diesem Augenblicke zwei der größten Schreihälse in dem verhältnismäßig engen Räume der Motorarche beisammen: Kingscourt und Steineck. Gleich dem alten Menschenfeinde, pflegte auch Steineck die gleichgültigsten Dinge mit furchtbarem Poltern vorzutragen. Kaum waren sie einander vorgestellt worden, brüllten sie sich gegenseitig in die Ohren. David und Reschid hörten es ergötzt mit an. Plötzlich legte aber Kingscourt den Zeigefinger an den Mund, und veranlaßte dadurch auch Steineck, zu schweigen.

"Herr Steineck," flüsterte der Alte, "Sie waren zwar sehr laut, aber Fritzchen ist dabei doch eingeschlafen." Und er hob, während die anderen lachten, das Kind, das ihm auf dem Schoße schlummerte, behutsam auf und legte es in den Arm der rückwärts sitzenden Kinderfrau.

"Mr. Kingscourt," raunte Steineck sehr gekränkt, "ich glaube nicht, daß ich lauter gesprochen habe als Sie."

Die Straße, auf der sie fuhren, bot den beiden Fremden immer neue Gelegenheit zu staunenden Fragen. Der Verkehr war hier natürlich viel schwächer als in der Stadt, es gab jedoch Leben genug. Radfahrer und Motorwagen eilten an ihnen vorüber. Auf einem weichen Reitpfade zur Seite des Fahrwegs tauchten ab und zu Reiter auf, manche in der malerischen Tracht der Araber, andere in europäischer Kleidung. Auch sah man öfters Kamele, einzeln und in Zügen, die malerischen und primitiven Überbleibsel einer überwundenen Epoche. Die Fahrstraße war vorzüglich glatt, und man rollte angenehm dahin. Rechts und links kleine Häuser mit Gärten, weiterhin wohlbestellte Felder, von jungem Grün überhaucht. Es fiel Kingscourt auf, daß von den Drähten, die längs der Straße auf Stangen hingezogen waren, Abzweigungen in die einzelnen Häuser gingen.

"Sind das Telephondrähte?" erkundigte er sich. "Und was ist das für eine Art Leute, die hier wohnt?"

Reschid Bey klärte ihn auf: "Hier wohnen zumeist Handwerker. Das hier ist ein Schuhmacherdorf. In diesen Drähten wird ihnen elektrischer Strom für ihre kleinen Maschinen zugeleitet. Ist Ihnen das etwas Neues?"

"O nein, das war schon zu meiner Zeit bekannt. Aber praktisch wurde dieser Kraftverschleiß wenig ausgenützt. Und woher kommt der Strom, wenn ich fragen darf?"

"Es gibt verschiedene Elektrizitätsgesellschaften. Die Leute hier beziehen den Strom zumeist von den Gebirgsbächen des Hermon und Libanon oder vom Toten-Meer-Kanal."

"Nein !" schrie Kingscourt überrascht.

"Ja !" brüllte Steineck.

David aber sagte:

"Diese Handwerker sind auch halbe Bauern. In beiden Eigenschaften sind sie genossenschaftlich verbunden. Ihre gewerblichen Erzeugnisse liefern sie im Wege der Genossenschaft an die großen Warenhäuser, Versandgeschäfte und Exporteure ab. Zugleich bilden sie aber auch landwirtschaftliche Verbände. Da gibt es die mannigfaltigsten Formen. In der Nähe der größeren Städte ist die gewerbliche Tätigkeit überwiegend und der Feldbau daneben unbedeutend, so daß ein solcher Handwerker über seinen Eigenbedarf hinaus nur wenig Bodenfrüchte zieht, beispielsweise Obst und Gemüse für die städtischen Markthallen. In der Küstenzone, die ganz den Charakter der Riviera hat, werden, wie in der Umgebung von Nizza, Tomaten, Artischoken, - Melonen, petits pois, haricots verts und dergleichen gezogen. Unsere Frühgemüse schicken wir mit der Bahn in alle Weltgegenden, nach Paris, Berlin, Moskau, St. Petersburg. Dann gibt es wieder Gegenden, wo das umgekehrte Verhältnis ist, wo das Landwirtschaftliche vorwiegt und das Gewerbliche nur den Charakter einer bescheidenen, wenn auch modernen, mit guten technischen Hilfsmitteln arbeitenden Hausindustrie hat. Das sind unsere Dörfer, die über das ganze blühende Land zerstreut sind. Zum Beispiel da drüben in der Ebene von Jesreel. Sie dürfen freilich keine solchen armen Schmutznester erwarten, die man in früheren Zeiten Dörfer nannte. Wir werden heute noch Gelegenheit haben, das neue Dorf zu sehen, den Typus, der sich unzählig in Palästina wiederholt, west- und ostwärts vom Jordan."

Sie waren über eine Brücke des Kison gefahren, und der Wagen rollte schneller zwischen herrlichen Orangen- und Zitronengärten hin. Die roten und gelben Früchte leuchteten aus dem Laube.

"Hol' mich der Deibel, das ist ja Italien!" sagte Kingscourt.

"Kultur ist alles !" brüllte Steineck, als ob er einen Widerspruch niederzukämpfen hätte. "Wir Juden haben Kultur hierher gebracht."

Rescbid Bey lächelte freundlich:

"Verzeihen Sie, mein Bester! Diese Kultur war auch früher da, wenigstens andeutungsweise. Schon mein Vater hat Orangen in großer Zahl gepflanzt." Er wandte sich zu Kingscourt und deutete mit dem Finger nach einer Anlage zur Rechten: "Das weiß ich besser als Freund Steineck, denn hier ist meines Vaters Garten, jetzt der meinige."

Es war eine Pracht, wie die wohlgepflegten Bäume dastanden. Auf den immerblühenden Limonenstämmen sah man Blüten, grüne und gelbe Früchte nebeneinander.

Steineck donnerte: "Ich will nicht leugnen, daß ihr schon vor uns eure Bojaren hattet, aber verwerten könnt ihr sie erst jetzt ordentlich."

Reschid Bey nickte: "Das ist richtig. Unsere Erträgnisse sind sehr erheblich gewachsen. Unser Orangenexport hat sich verzehnfacht, seit wir die guten Verkehrswege nach der ganzen Welt haben. Alles ist ja durch eure Einwanderung mehr wert geworden."

"Eine Frage, Reschid Bey !" warf Kingscourt ein. "Die Herren werden sie mir nicht übel nehmen, dazu sind sie ja viel zu gescheit. Sind die früheren Bewohner von Palästina durch die Einwanderung der Juden nicht zugrunde gerichtet worden? Haben sie nicht wegziehen müssen? Ich meine: im großen und ganzen. Daß einzelne dabei gut fuhren, beweist ja nichts."

"Welche Frage!" entgegnete Reschid. "Für uns alle war es ein Segen. Selbstverständlich in erster Reihe für die Besitzenden, die ihre Landstücke zu hohen Preisen an die jüdische Gesellschaft verkaufen konnten oder auch weiter behielten, wenn sie noch höhere Preise abwarten wollten. Ich für meinen Teil habe die Grundstücke unserer neuen Gesellschaft verkauft, weil ich dabei meine Rechnung besser fand."

"Sagten Sie nicht vorhin, das wären Ihre Gärten, an denen wir vorbeifuhren?"

"Freilich! Nachdem ich sie der Gesellschaft verkauft hatte, pachtete ich sie wieder."

"Da hätten Sie sie doch gleich nicht hergeben sollen."

"So war es aber für mich vorteilhafter. Da ich mich der neuen Gesellschaft anschließen wollte, mußte ich mich auch ihren Landregeln unterwerfen. Die Mitglieder haben kein Privateigentum an Grund und Boden."

"Friedrichsheim gehört nicht Ihnen, Herr Littwak?"

"Das Grundstück nicht. Ich habe es nur bis zum nächsten Jubeljahre gepachtet, wie Freund Reschid seine Gärten."

"Jubeljahr? Bitte, erklären Sie sich gefälligst näher. Mir scheint wirklich, daß ich da drüben auf meiner Insel viel verschlafen habe."

"Das Jubeljahr," sagte David, "ist keine neue, sondern eine sehr alte Einrichtung unseres Lehrers Moses. Nach siebenmal sieben Jahren, also in jedem fünfzigsten Jahre, fielen die verkauften Grundstücke wieder an den ursprünglichen Besitzer ohne Entschädigung zurück. Wir haben das allerdings ein bißchen anders gemacht. Bei uns fallen die Grundstücke an die neue Gesellschaft. Schon Moses wollte dadurch der sozialen Gerechtigkeit in der Bodenverteilung dienen. Sie werden einsehen, daß unsere Methode diesem Zwecke nicht schlechter dient. Die Wertvermehrung des Boden kommt nicht einzelnen, sondern der Gesamtheit zustatten."

Steineck glaubte einen Einwand Kingscourts im vorhinein zerstreuen zu müssen: "Sie werden vielleicht sagen, daß dann niemand mehr Lust haben wird, auf einem nicht ihm gehörenden Boden Verbesserungen und schöne Bauten aufzuführen."

"O nein, mein Herr, das werde ich nicht sagen. Für ein solches Rindvieh müssen sie mich nicht halten. Ich weiß, daß in London die Leute ihre Häuser auf fremden Grundstücken bauen, die sie auf 99 Jahren gemietet haben. Das ist doch ganz dasselbe. ... aber ich wollte Sie fragen, mein lieber Bey, wie es den früheren Einwohnern erging, die nichts besaßen — den vielen arabischen Mohammedanern?"

"Mr. Kingscourt, diese Frage beantwortet sich von selbst," sagte Reschid. "Die nichts besaßen, also nichts zu verlieren hatten, die haben natürlich nur gewinnen können. Und sie haben gewonnen: Arbeitsgelegenheit, Nahrung, Wohlergehen. Es hat nichts Armseligeres und Jämmerlicheres gegeben, als ein arabisches Dorf in Palästina zu Ende des neunzehnten Jahrhunderts. Die Bauern hausten in erbärmlichsten Lehmnestern, die zu schlecht waren für Tiere. Die Kinder lagen nackt und ungepflegt auf der Straße und wuchsen auf wie das liebe Vieh. Heute ist das alles anders. Von den großartigen Wohlfahrtseinrichtungen haben sie profitiert, ob sie wollten, oder nicht. Als die Sümpfe des Landes ausgetrocknet wurden, als man die Kanäle anlegte und die Eukalyptusbäume pflanzte, welche den Boden gesund machen, da wurden diese einheimischen, widerstandsfähigen Menschenkräfte zuerst verwendet und gut gelohnt. Blicken Sie nur da hinaus ins Feld ! Ich erinnere mich noch aus meiner Knabenzeit, daß hier Sümpfe waren. Diesen Boden hat die neue Gesellschaft am billigsten erworben und hat ihn zu dem besten gemacht. Die Äcker gehören zu dem blanken Dorf, das Sie dort auf dem Hügel sehen. Es ist ein arabisches Dorf. — Sie bemerken die kleine Moschee. Diese armen Menschen sind viel glücklicher geworden, sie können sich ordentlich ernähren, ihre Kinder sind gesünder und lernen etwas. Nichts von ihrem Glauben und ihren alten Gebräuchen ist ihnen verstört worden — nur mehr Wohlfahrt ist ihnen zuteil geworden."

"Ihr seid eigentlich kurios, ihr- Mohammedaner ! Seht ihr denn diese Juden nicht als Eindringlinge an?"

"Christ, wie sonderbar ist Ihre jetzige Rede!" antwortete der freundliche Reschid. "Würden Sie den als einen Räuber betrachten, der Ihnen nichts nimmt, sondern etwas bringt? Die Juden haben uns bereichert, warum sollten wir ihnen zürnen? Sie leben mit uns wie Brüder, warum sollten wir sie nicht lieben? Ich habe unter meinen Glaubensgenossen nie einen besseren Freund gehabt, als diesen David Littwak da. Er kann zu mir kommen bei Tag oder Nacht und von mir verlangen, was er will, ich werde es ihm geben. Und ich weiß auch, daß ich auf ihn rechnen kann wie auf einen Bruder. Er betet in einem anderen Hause als ich zu demselben Gotte, der über uns allen ist. Aber diese Gotteshäuser stehen nebeneinander, und ich glaube immer, daß unsere Gebete, wenn sie erst einmal im Aufsteigen sind, sich irgendwo in der Höhe vereinigen, und dann setzen sie den Weg zusammen fort, bis sie ganz oben sind bei unserem Vater."

Reschid hatte in schlichtem Tone gesprochen, der alle bewegte, auch Kingscourt. Dieser räusperte sich:

"Hm — hm. Ganz recht, ganz schön. Das läßt sich hören. Aber Sie sind ein gebildeter Mann. Sie haben in Europa studiert. All das gilt ja doch nicht von den gemeinen Stadt- und Landleuten."

"Viel eher von diesen, Mr. Kingscourt. Sie müssen schon entschuldigen, aber Duldsamkeit habe ich im Abendlande nicht gelernt. Wir Mohammedaner haben uns von jeher besser als ihr Christen mit den Juden vertragen. Schon in der Zeit, als die ersten jüdischen Kolonisten hier erschienen, zu Ende des vorigen Jahrhunderts, kam es vor, daß streitende Araber einen Juden zum Richter wählten oder sich geradezu an den Waad einer jüdischen Niederlassung um Rat, Hilfe oder Urteil wandten. Da gab es wirklich keine Schwierigkeit. Und so lange die Richtung des Dr. Geyer nicht die Oberhand bekommen wird, so lange wird auch das Glück unseres gemeinsamen Vaterlandes dauern."

"Ja, was ist's denn mit diesem Geyer, von dem ich immer wieder sprechen höre?"

Steineck wurde dunkelrot im Gesichte, und er schrie: "Ein vermaledeiter Pfaffe ist er, ein Augenverdreher, Leuteverhetzer und Herrgottsfopper. Die Intoleranz will er bei uns einführen, der Halunke. Ich bin gewiß ein ruhiger Mensch, aber wenn ich so einen intoleranten Kerl sehe, den könnte ich mit Vergnügen ermorden."

"Also Sie sind der Duldsame?" lachte Kingscourt. "Nun kann ich mir denken, wie bei euch die Duldsamen aussehen."

"Diese gebärden sich natürlich viel sanfter," scherzte David.

Der Motorwagen hatte die Ebene verlassen und rollte ostwärts in das wellige Land hinein, bergauf nicht langsamer als bergab. Überall waren die Hügellehnen bis hinauf bebaut, jedes Fleckchen Erde benutzt. An den steileren Hangeln erhoben sich Terrassen, wie in der alten salomonischen Zeit. Hier wuchsen Trauben, Granatäpfel und Feigen. Zahlreiche Baumschulen zeigten, welche verständige Sorge die Bevölkerung der Aufforstung dieser einst kahlen Strecken zugewendet hatte. Auf den Kämmen der kleinen Berge ragten die Umrisse von Pinien und Zypressen in den blauen Himmel.

Jetzt kam der Wagen, in ein liebliches Tal, das die Reisenden durch seine Blumenfülle überraschte. Wie ein leuchtender Teppich in weißen, gelben, roten, blauen und grünen Farben war es vor ihnen ausgebreitet. Und es war ihnen zumute, als waren sie in ein Duftmeer hineingeraten. Ein Windhauch trug die wohlriechenden Luftwellen heran, und die beiden Neuankömmlinge waren ganz bezaubert von dem Naturspiele, das sie sich gar nicht zu erklären wußten. Der Aufschluß wurde ihnen zuteil, daß hier eine großartige Blumenkultur für Parfümindustrie eingerichtet sei. Jasmin, Tuberosen, Geranien, Narzissen, Veilchen und Rosen wurden hier in großen Massen gezogen. Dieses Tal war ein einziger Garten, Am Rande des Weges pflegten die arbeitenden Landleute den Vorbeiziehenden Grüße zuzurufen, die bald Littwak, bald Reschid Bey oder Steineck galten. Alle drei schienen viele Bekannte unter diesen sittlich frohgemuten Bauern zu haben. So kamen sie nach der Ortschaft Sepphoris, wo der Wagen zum erstenmal hielt. Auf dem Platze vor der griechischen Kirche stieg David aus und bat seine Freunde, sich einen Augenblick zu gedulden; er müsse dem Popen einen kurzen Besuch machen. Er trat in das schmucke kleine Pfarrhaus ein.

Die anderen verließen auch die Motorarche, um ein paar Schritte bis an den Hügelrand zur Ruine der alten zerstörten Kirche zu gehen. Von da genoß man einen schönen Fernblick über die fruchtbare Ebene bis an den Karmel. Und Mirjam erzählte, daß hier einst ein christliches Gotteshaus zu Ehren Joachims und Annas gestanden sei, welche die Eltern Marias, der Mutter Jesu gewesen waren und hier gelebt hatten. Die neue griechische Kirche diene der Kolonie russischer Christen, die um Sepphoris herum entstanden war. Mit dem Popen sei David befreundet, und lade er ihn ein, zur Sederfeier nach Tiberias zu kommen. Dann erschien David wieder, begleitet von dem stattlichen Popen, der aber bedauerte, nicht gleich mitfahren zu können. Er würde nachmittags mit der elektrischen Bahn über Nazareth nach Tiberias kommen und wahrscheinlich noch vor der Gesellschaft bei Littwaks Eltern eintreffen.

So nahmen sie denn Abschied von dem geistlichen Herrn, und der Reisewagen rollte in nördlicher Richtung der Ebene zu.

>> Fortsetzung...

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