James Petras und der "Geist von Auschwitz"
Die antisemitischen Ausfälle des linken US-Soziologen
Von Theo Bruns
Als der portugiesische Schriftsteller und Nobelpreisträger
José Saramago im Rahmen einer Delegation des Internationalen
Schriftstellerparlaments Palästina besuchte und das israelische Vorgehen in
Ramallah mit Auschwitz verglich, sorgte das für einen handfesten Skandal. Trotz
aller Proteste, darunter von Kritikern der Besatzungspolitik wie Amira Hass,
Amos Oz oder Tom Segev, konnte sich Saramago nicht zu einer Korrektur seiner
Äußerungen durchringen.
Unerwartete Schützenhilfe wurde ihm nun aus Amerika zuteil.
Der us-amerikanische Soziologieprofessor James Petras schaltete sich mit einem
Artikel unter der Überschrift “Palästina: die Endlösung und José Saramago” in
die Debatte ein. Seine Polemik wurde in der “Jornada”, dem Flaggschiff des
unabhängigen Journalismus in Mexiko, veröffentlicht und auf zahlreichen Websites
weiterverbreitet. James Petras ist nicht irgendwer, sondern erfreut sich in der
lateinamerikanischen Linken großer Wertschätzung. Auf dem Weltsozialforum von
Porto Alegre rief er kürzlich zur Bildung einer weltweiten antiimperialistischen
Bewegung auf.
Die Aussage Saramagos offenbare eine “historische Wahrheit”.
Niemand könne bestreiten, dass “die Israelis an einem ganzen Volk einen Genozid
begingen”. Aus “Heuchelei und Groll” beanspruchten die “Nachkommen des
Holocaust” “ein Privileg auf diesen Terminus”. Deshalb habe Saramago völlig
Recht, wenn er die Israelis als “Holocaustrentiers” kritisiere, die sich im
Gefühl der Straflosigkeit wiegen. Die Indignation angesichts der Äußerungen
Saramagos verberge nur den “Selbsthass der Henker”, die wissen, dass sie zu
“Schülern ihrer historischen Verfolger geworden sind”. Während Israel der
Unterstützung Washingtons sicher sein könne, solange “die jüdische Lobby” von
Tel Aviv kontrolliert werde, seien in Protestaktionen wie denen von Via
Campesina und José Bové hoffnungsvolle Anzeichen erkennbar.
In einem zweiten, ebenfalls in der “Jornada” veröffentlichten
Artikel räsoniert Petras darüber, ob Dschenin nicht eher mit dem Warschauer
Ghettoaufstand denn mit Auschwitz vergleichbar sei, wohin sich die Juden
friedlich hätten deportieren lassen, während die Palästinenser Widerstand
leisten würden. An der Schlussfolgerung ändert diese “Differenzierung” nichts:
“Die Juden sind nicht das einzige Volk, welches einen Holocaust erlebt hat.
Dschenin ist unser Holocaust.” Der gesamte Text ist durchzogen von Vergleichen
Scharons mit Göbbels, Hitlers mit dem israelischen Staat, die die “gleiche
paranoide Vision teilen”, Invektiven gegen die jüdische Diaspora und einem
unvermittelten Verweis auf die Komplizenschaft “Hollywoods”. Im Rahmen seiner
Analogiebildungen versteigt sich Petras selbst zu einer direkten Rechtfertigung
der palästinensischen Selbstmordattentate. Auch die Warschauer Ghettokämpfer
seien schließlich gegen Zivilisten vorgegangen. Der Hauptunterschied habe in der
geografischen Distanz gelegen: “Zu jenem Zeitpunkt waren die deutschen
Zivilisten zu weit entfernt. Nach dem Krieg wurde die gesamte deutsche
Zivilbevölkerung mit aller Schärfe für die Verbrechen ihrer Regierung bestraft.”
In einem dritten Artikel “Wer finanziert den israelischen
Staat?” legt Petras nochmals nach. Er beklagt darin den disproportionalen
Einfluss der us-amerikanischen Juden in Presse, Unterhaltungsindustrie,
Gewerkschaften und Finanzwelt. Durch ihr koordiniertes Vorgehen gelinge es
ihnen, die “israelische Militärmaschinerie” durch “bedingungslose finanzielle
und militärische Unterstützung” am Laufen zu halten. Der beständige
Dollar-Zustrom halte zudem die israelische Rentiers-Gesellschaft am Leben. Ohne
diese Unterstützung müsste sich Israel “produktiven Tätigkeiten wie Ackerbau,
Handwerk und Dienstleistungen zuwenden”. Die Rückendeckung durch die
überseeische Lobby erlaube es Israel jedoch, der Weltöffentlichkeit “bis zur
Ermordung des letzten Palästinensers” zu trotzen.
Petras verknüpft das bekannte Motiv des unproduktiven Juden
mit der verschwörungstheoretischen Vorstellung von der Kontrolle der US-Politik
durch eine mächtige jüdische Lobby zu einem neuen antisemitischen Dispositiv,
welches in der Achse USA-Israel das Zentrum imperialer Herrschaft ausmacht. Ein
so verstandener “Antiimperialismus” ist von rechtsextremen Vorstellungen des
“Zionist Occupied Government” oder der islamistischen Rede von “dem kleinen und
dem großen Satan” nicht mehr weit entfernt.
Nun gibt es berechtigte Gründe, die israelischen
Militäraktionen und die Regierung Scharon – wie im Übrigen auch die Politik
Arafats – zu kritisieren. Wer dies mittels geradezu zwanghafter Vergleiche mit
der NS-Vernichtungspolitik und haltloser Übertreibungen unternimmt und den
Holocaust völlig aus seinem historischen Kontext reißt und verharmlost, verrät
andere Beweggründe. Wie schon bei der mehr als klammheimlichen Schadenfreude
vieler lateinamerikanischer Linker nach den Attentaten vom 11. September
offenbart ein verkürzter Antiimperialismus, der sich mit einem unkritischen
Bezug auf nationale Befreiungsbewegungen paart und sich ungeniert
antisemitischer Stereotype bedient, eine weit offene Flanke zu rechten
Positionen. Die globalisierungskritische Linke, die einen emanzipatorischen
Neuaufbruch anstrebt, hat allen Anlass, sich kritisch mit solchen
Stellungnahmen, die längst kein Einzelfall mehr sind, auseinander zu setzen.
(Alle Texte von James Petras
sind auf Spanisch und Englisch unter
www.rebelion.org/petras.htm
nachlesbar.)
Quelle: ila 256, Juni 2002 |