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Judentum und Israel
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Revisionismus

Von Richard Lichtheim, Berlin
in: Parteien und Strömungen im Zionismus in Selbstdarstellungen
(Schriften zur Diskussion des Zionismus No. 5), Herausgegeben von der J.A. "Barissia" Prag, Prag 1931, S.10-12.

I.

Die revisionistische Bewegung: im Zionismus ist eine Schöpfung Vladimir Jabotinskys. Als Folge seiner Kritik an den Methoden und an der Anschauungsweise des "offiziellen Zionismus" bildeten sich im Zeitraum von 1923 bis 1925 lose Gruppen, meist aus wenigen Personen bestehend, die Jabotinskys Meinungen aufnahmen und weitertrugen. Nach einem Vortrag in der "Hasmonäa" in Riga wurde der Beschluss gefasst, der Bewegung organisatorischen Ausdruck zu geben. Im Jahre 1925 fand in Paris die erste revisionistische Konferenz statt, die das Programm formulierte. Es folgten weitere Konferenzen der "Union der Zionisten-Revisionisten" in Paris (1926), Wien (1928), Prag (1930).

Parallel mit der Entwicklung der Union vollzog sich der Aufstieg des Brith Trumpeldor, einer Jugendorganisation, die formell von der revisionistischen Union unabhängig, jedoch durch Gesinnung und Tat eng mit ihr verbunden ist.

Die Bewegung wuchs verhältnismässig rasch, ihre Anschauungen und Forderungen wurden populär, ihr Programm bildet heute den Hauptpunkt innerzionistischer Debatten. Sieg oder Niederlage des Revisionismus wird den Charakter des Zionismus in der Zukunft entscheidend bestimmen.

Im Jahre 1925 konnte Jabotinsky auf dem Wiener Kongress nur vier Delegierte um sich scharen. Auf dem Kongress des Jahres 1927 in Basel war die Union schon durch zehn Delegierte vertreten, in Zürich waren es zweiundzwanzig. Auf dem bevorstehenden Kongress wird voraussichtlich eine sehr starke revisionistischen Fraktion erscheinen.

Nach der Prager Konferenz vom August 1930 wurde das Zentralbüro der Union nach London verlegt. Die Bewegung wird von einem Parteirat und einem Exekutivkomité geleitet, an dessen Spitze ein Präsidium aus drei Personen steht. Der Vorsitzende ist Jabotinsky.

Im Aktionskomité ist die Union zur Zeit durch Grossmann, Lichtheim und Dr. Soskin vertreten.

II.

Das Programm des Revisionismus ist aus der Kritik bestehender Zustände und Methoden hervorgegangen. Es war daher nur natürlich, dass es heftige Gegnerschaft bei all denen auslöste, die mit dem herrschenden System einverstanden waren, und dass der gesamte Apparat des "offiziellen" Zionismus sich gegen die Bewegung wandte. Wenn trotzdem der Revisionismus schon in wenigen Jahren so viele Anhänger fand, wenn der jetzige Präsident der zionistischen Organisation mit bitterer Klage über die "zahlreichen Krypto-Revisionisten" spricht, die er in Palästina angetroffen habe, so beweist dies, dass der Revisionismus Gedanken und Forderungen repräsentiert, die heute in sehr weiten Kreisen der zionistischen Bewegung nach Ausdruck ringen.

Versuchen wir, auf knappem Raum die Hauptthesen des Revisionismus zu entwickeln und sie mit den widerstreitenden Thesen der bisher herrschenden Richtung zu konfrontieren.

Auf politischem Gebiet wandte sich der Revisionismus gegen die immer wieder von der zionistischen Leitung wiederholte Behauptung, dass das in Palästina herrschende Verwaltungssystem jede mögliche Ausbreitung der zionistischen Kolonisationsarbeit ermögliche, dass die politische Lage "sehr befriedigend" und der Fortschritt unserer Arbeit nur von der Anstrengung der Juden abhängig sei.

Hierin erblickte der Revisionismus einen gefährlichen Irrtum. Nicht erst als Folge der Unruhen des Jahres 1929 und der sich anschliessenden politischen Niederlagen, sondern aus grundsätzlichen Erwägungen, aus ernsthafter Durchdringung der politischen Situation, stellte der Revisionismus die warnende Forderung nach Schutz der jüdischen Bevölkerung und nach Kolonisationsregime auf - das heisst nach einem wirtschaftlich-politischen Plan, der mit der Mandatarmacht vereinbart und von ihr angewandt werden müsse. In der Durchsetzung eines solchen Planes sah der Revisionismus die zentrale Aufgabe der zionistischen Politik. Ob dieser Plan früher oder später, ganz oder teilweise durchsetzbar sei — diese Frage konnte Gegenstand der Erörterungen sein. Ausser Zweifel aber musste es stehen, dass der grundsätzliche Verzicht auf solchen Plan, die Leugnung seiner Notwendigkeit, die Katastrophe der zionistischen Politik unvermeidbar machte. Im Jahre 1927 schrieb ich in einem Wahlaufruf zum Kongress: "Die Leitung behauptet,, dass die politische Lage sehr befriedigend sei, dass alles von ihrer Seite geschehe, was  politisch geschehen  könne, und dass unter den jetzigen politischen Bedingungen die nationale Heimstätte in Palästina errichtet werden könne, wenn das jüdische Volk genügend Geld hergäbe.

Demgegenüber stellen wir fest: die politische Lage ist nicht befriedigend. Keine einzige der im Mandat vorgesehenen Massnahmen, durch welche die Mandatarmacht die jüdische Kolonisation fördern sollte, ist bisher zur Ausführung gelangt. Die Aufgabe besteht darin, die toten Buchstaben des Mandats zum Leben zu erwecken. Die Kolonisation Palästinas ist eine staatliche Aufgabe und kann ohne Mithilfe des Staates nicht gelöst werden. Die erforderlichen Massnahmen würden sich aus einem Kolonisationsplan ergeben, der gemeinsam von der Jewish Agency und der Landesverwaltung aufzustellen wäre. Von der jetzigen Leitung ist nach ihren Taten und Erklärungen der letzten Jahre nicht zu erwarten, dass sie in dieser Richtung arbeitet. Sie ist mit dem heutigen Zustand zufrieden. Wir protestieren gegen die verhängnisvolle Haltung der Leitung, die, um sich zu behaupten und ihre eigene Unfehlbarkeit zu beweisen, abwechselnd den Sachwalter arabischer oder angeblicher englischer Interessen spielt, weil sie nicht den Mut, die Einsicht und das Verantwortungsgefühl besitzt, Sachwalter der jüdischen Palästinainteressen zu sein."

Diese vor vier Jahren ausgesprochene Kritik, in der Kerngedanken des Revisionismus nochmals formuliert wurden, hat durch die Ereignisse der beiden letzten Jahre eine schreckliche Betätigung erfahren. In der Tat konnten weder die Engländer noch die Araber gleich der zionistischen Leitung die Augen und Ohren schliessen, und die Entwicklung sich selbst überlassen. Die Araber erneuerten von Jahr zu Jahr ihren, von uns stets als natürlich und unvermeidbar angesehenen Widerstand gegen die jüdische Einwanderung und Kolonisation. Keine noch so geschickte Formulierung der jüdischen Zielsetzung in Palästina, auch nicht die weitgehendsten Kompromissvorschläge des Brith Schalom konnten diese Widerstände besiegen, solange die Araber hoffen durften, durch Protest, Gewaltakt und die Hilfe englischer Beamtenkreise die Zionisten von Palästina abzuschrecken. An dieser Situation hat sich nichts geändert, im Gegenteil, der Widerstand der Araber ist durch die Erfahrungen der letzten Jahre immer mehr erstarkt. Sie haben gelernt, dass ständiger politischer Kampf Erfolge bringt, dass Proteste helfen, ja dass sogar blutiges Unrecht, das sie begehen, eine Waffe mehr in dem Ringen um Palästina sein kann.

Warum? Weil England das Schwert und die Wage hält. Und weil die englische Politik, unbeschwert durch Prinzipien, tastend und langsam, bald ausweichend, bald vordringend, stets den Weg des geringsten Widerstandes sucht.

Die Araber schrieen und drohten, klagten und mordeten. Die Zionisten veranstalteten Bankette und fanden die Lage "sehr befriedigend". So musste es zu Unruhen, zum Verbot der Einwanderung, zum Skandal des Shaw-Berichtes und des Weissbuches kommen, das trotz des Beschwichtigungsbriefes Mac Donalds in  Kraft ist.

Nun ist die zionistische Politik in die Defensive gedrängt. Weil sie acht Jahre lang die Wirklichkeit nicht sehen wollte, kam diese Wirklichkeit plötzlich über sie: Die Landfrage, die Fellachen- und Effendifrage, das Problem der Aufnahmsfähigkeit des Landes, alle diese Fragen, die von uns rechtzeitig begriffen und im zionistischen Sinne gemeinsam mit der Regierung hätten gelöst werden müssen — sie wurden nun von unseren Feinden gegen uns gewendet, in falscher Beleuchtung dargestellt, zum Verderb des Zionismus ausgespielt. Es ist untilgbare Schuld der bisherigen zionistischen Führung, diese Situation durch ihre Blindheit selbst herbeigeführt zu haben.

Das ist die Anklage des Revisionismus gegen das bisher herrschende System.

Wie kann die Lage gebessert werden? Durch stetige politische Arbeit, die zunächst das Trümmerfeld aufräumt, das diese Führung hinterliess. Der angerichtete Schaden ist zu gross, als dass ein jäher Umschwung zu unseren Gunsten erwartet wenden könnte. Aber die politische Aufgabe bleibt dieselbe, solange England der Mandatar über Palästina ist. Der Aufbau des Landes ist eine Staatsaufgabe. Sie kann nur mit Hilfe Englands gelöst werden. Eine passive Regierung bedeutet eine feindliche Regierung — und dann beginnt wiederum der Pogrom.

Die Aufgabe unserer Politik ist schwerer geworden, aber sie ist lösbar. Es ist Vernunft und Sinn in dem Gedanken, dass unter englischer Oberhoheit ein jüdisches Gemeinwesen in Palästina errichtet wird. Aber die Lösung dieser Aufgabe wird nicht gelingen, wenn die Führung der jüdischen Politik weiter in den Händen von Menschen bleibt, die das ABC der  Weltgeschichte nicht verstehen.

Der Widerstand der Araber wird nie ganz aufhören, solange wir noch nicht so stark in Palästina geworden sind, dass die Errichtung der jüdischen Heimstätte den Arabern als fait accompli erscheint. Erst dann wird die Zeit der Verständigung gekommen sein.

Bis dahin brauchen wir das Kolonisationsregime, das heisst den Schutz und die Führung der Mandatarmacht. Ohne Brutalität, ohne Verdrängung der Araber kann und soll die jüdische Heimstätte errichtet werden. Je fester England sich entschlossen zeigt, seine im Mandat vorgeschriebene Aufgäbe zu erfüllen, umso geringer wird der arabische Widerstand werden. Was England bisher tat — von der feindlichen Haltung Allenbys zur Feigheit Samuels und schliesslich zur kühlen Gegnerschaft Chancellors — musste den  arabischen Widerstand  immer aufs neue entfesseln.

Der Schlüssel zur Lösung der arabischer Frage Palästinas liegt in London. Unsere Führung hat ihn zu finden. Das ist die Aufgabe der zionistischen Politik. Es gibt keine andere.

III.

Auf dem Gebiet der Wirtschaft lehnt der Revisionismus die Praxis der bisherigen Leitung ab und fordert eine Neuorientierung.

Die Praxis der Leitung bestand im Grunde nur in der Geldsammlung. Zionistische Organisation und "erweiterte" Jewish Agency dienten eigentlich nur der Sammlung für den Keren Hajessod. Mit dessen Geldern wurde das Schul- und Sanitätswesen unterstützt, der Beamtenapparat unterhalten und das von der Arbeiterorganisation in eigener Regie durchgeführte Siedlungswerk subventioniert. Es fehlte an jedem grosszügigen Plan, an jeder Förderung der Industrie, an jeder Förderung der jetzt so sehnlich herbeigewünschten Mittelstands-Einwanderung. Der alles überwuchernde Einfluss der Arbeiterorganisation liess es nicht zu, dass wenigstens Teile des Keren Hajassod der Schaffung von Kreditinstitutionen, der Förderung selbstständiger Existenzen dienstbar gemacht wurden.

Nun ist es aber unmöglich, Palästina nur durch Subventionen aufzubauen. Heute schon ist die Privatinitiative wichtiger als der Keren  Hajessod.

Es galt, in Palästina die Vorbedingungen für eine grössere Immigration zu schaffen — nicht bloss Immigranten zu unterstützen. Es galt, einen Plan der Landentwicklung, einschliesslich   Transjordaniens durchzuführen, nicht nur einige Dörfer zu gründen. Die Einzelheiten des revisionistischen Wirtschaftsprogrammes können hier nicht dargestellt werden. Förderung der Privatinitiative, des Kreditwesens, der intensiven Wirtschaftsformen in der Landwirtschaft, Erschliessung der Wasserwirtschaft und Anregung der Industrie sind seine wichtigsten Punkte.

Entscheidend sind auch für die Wirtschaftsentwicklung die politischen Vorbedingungen. Wenn das jüdische Volk Vertrauen zur Mandatarmacht hat, so wird es auch bereit sein,  Arbeit und Kapital nach Palästina zu tragen. Wenn in Palästina eine rückständige, unfähige oder gar feindselige Kolonialbürokratie herrscht, so muss der jüdische Enthusiasmus erlahmen. Wir Zionisten wissen, dass unsere Arbeit unter allen Umständen fortgesetzt werden muss. Aber wir wissen ebenso gut, dass das jüdische Volk noch weit mehr als bisher für Palästina leisten könnte, wenn es mit Glauben und  Vertrauen an seine Arbeit gehen dürfte.

Die Haltung der Regierung, die Unfähigkeit und Planlosigkeit der zionistischen Leitung haben diesen Glauben und dieses Vertrauen schwer erschüttert. Wirtschaft und Politik sind eng verknüpft. Es muss daher in Zukunft nach ganz neuen Methoden gearbeitet werden. Bedingungen, nicht Dinge, Wirtschaft, nicht nur Geldsammlung heisst die Parole.

IV.

Die innere Politik der zionistischen Führung hat zur Schwächung der Zionistischen   Organisation geführt.

Die "Erweiterung" der Jewish Agency hat sich als Fehlschlag erwesen, wie dies der Revisionismus im Voraus gesagt hat. Das monströse Doppelgebilde dieser Agency mit seinen zahlreichen Körperschaften (Kongress neben Council, Aktionskomité neben Administrative Comité, Exekutive der Zionistischen Organisation neben Exekutive der Agency) hat einen Wirrwarr in den Kompetenzen, riesige Geld- und Zeitvergeudung verursacht. Die Erfolge sind ausgeblieben, jedenfalls stehen sie in keinem Verhältnis zu der Schädigung der Zionistischen  Organisation.

Die "erweiterte" Agency ist schon im Sterben, bevor sie noch  richtig gelebt hat.

Der Revisionismus wünscht die Kooperation mit anderen Jüdischen Kreisen — aber in vernünftiger Form und nicht um den Preis des Verzichts auf zionistische Propaganda und auf Stärkung der eigenen Organisation. Die politische Führung muss eine zionistische Führung  sein.

Darum verlangt der Revisionismus die Reform dies jetzigen Agency-Gebildes. Per Kongress muss eine Lösung finden, die die Autonomie und Entwicklungsmöglichkeit der Zionistischen Organisation wieder herstellt. Es ist der Sinn der Zionistischen Organisation, dem nationalen Wollen des neuen Juden, den Herzl schuf, die Möglichkeit der Aktion zu geben. Es gilt, aus der Zionistischen Organisation wieder eine Kraftquelle der Bewegung zu machen, den Zionismus und nicht die Geldsammelmaschine aus ihr zu speisen.

V.

Der Gegensatz zwischen Revisionismus und Arbeiterschaft besteht nicht so sehr in der verschiedenen Betrachtungsweise der sozialen Probleme Palästinas, als vielmehr in der Behandlung kongresspolitischer Fragen. Warum sollte eine Bewegung "arbeiterfeindlich" sein, die die Schaffung zahlreicher Industrien, eine möglichst grosse Immigration und die Ansiedlung von Chaluzim in intensiv bewirtschafteten Kleinbetrieben will? Wir verteidigen nicht die Interessen des Kapitals oder des Grossgrundbesitzes. Was wir an der Arbeiterorganisation in Palästina bekämpfen, ist ihre Einseitigkeit und ihr Machthunger, der sie treibt, alle Mittel der Bewegung in ihre Hand zu bekommen. Wir wollen, dass das ganze jüdische Volk am Palästinaaufbau teilnimmt, dass nicht nur die Arbeiterschaft, sondern alle Kreise des Jischuw von der Zionistischen  Organisation gefördert werden.

Wir bekämpfen die unnötige Zuspitzung sozialer Konflikte, die dogmatische Anwendung europäischer Klassenkampfbegriffe in einem Lande, das eben erst durch Pionierarbeit erschlossen werden soll. Wir fordern für dieses Pionierstadium die Unterordnung aller Schichten — der Unternehmer und Kolonisten nicht weniger als der Arbeiter — unter die primäre Notwendigkeit nationaler Einigkeit. Wir fordern daher konkrete Arbeitsvermittlungsbüros und obligatorische Schiedsgerichte zur Vermeidung von Streiks. Das will die Arbeiterorganisation nicht — weil sie diktieren will. Wir bekämpfen es, dass die Gewerkschaftsbewegung in Palästina Instrument des innerzionistischen Kampfes wird und dass Arbeiter verfolgt werden, weil sie nicht Weizmann-Gläubige, sondern Anhänger Jabotinskys sind. Wir werfen der Arbeiterorganisation vor, dass sie durch Unterstützung der Agency-Politik die zionistische Bewegung geschwächt und ihren demokratischen Charakter vernichtet, dass sie im Tanz um das goldene Kalb die besten Grundsätze des Zionismus  preigegeben hat.

Nicht die "soziale Frage" im europäischen Sinne also ist es, die trennend zwischen uns und der Arbeiterorganisation steht — ihre Kongresspolitik, ihre Unterstützung; des Weizmannkurses durch dick und dünn, ihre unberechtigten Machtansprüche haben den tiefen Gegensatz geschaffen. Dieser Gegensatz mag zur Zeit unüberbrückbar scheinen — aber Revisionismus und Arbeiterschaft bedeuten keine ideologischen Gegensätze.

VI.

Das Ziel des Zionismus ist der Judenstaat. Darunter verstehen wir ein jüdisches Gemeinwesen  zu beiden Seiten des Jordans, das auf der jüdischen Majorität im Lande festgegründet ruht. Jede Zielsetzung, die etwas anderes erstrebt, lehnen wir ab.

Die Ansiedlung einer gewissen Anzahl von Juden in Palästina, die dort gemeinsam mit einer arabischen Bevölkerungsmehrheit einen "binationalen" palästinensischen Staat errichten, mag vom Standpunkt jüdischer Philantropie erwünscht sein; sie wird auch von jeder Mandatarmacht begrüsst werden, die so mit Hilfe Jüdischen Kapitals, jüdischer Arbeit und Intelligenz das kulturelle und wirtschaftliche Niveau der Bevölkerung und die Steuerkraft des Landes zu heben vermag. (Eben darum ist dieser Kleinzionismus so gefährlich: er bildet zur Zeit die Linie des geringsten Widerstandes für die englische Politik.)

Niemals aber kann solche Zielsetzung den Zionisten befriedigen. Zionismus ist ja gerade der Versuch, das jüdische Volk aus seiner tragischen Rolle der Minderheit zu erlösen, ihm die nationale Freiheit im eigenen Lande zu geben. Freiheit heisst Selbstbestimmung. Diese ist nur auf dem Boden der eigenen Heimat möglich und nur dann, wenn das Volk an Zahl und Kraft stark genug ist, sich kulturell, wirtschaftlich und politisch auf diesem Boden zu behaupten — d. h. wenn es Majorität ist. Wenn aber die zionistische Bewegung nur dazu führt, dass eine jüdische Minorität Teil eines Staatswesens mit arabischer Majorität wird, so hat der Zionismus seinen Sinn eingebüsst. Dann haben wir ein neues Ghetto in Arabien. Der B'rith Schalom und die unter seinem Einfluss stehende zionistische Führerschaft versucht wohl, der Konsequenz seines eigenen Gedankens auszuweichen.

Sie denkt sich einen, aus jüdisch-arabischem Verständigungswillen erwachsenden palästinensischen Zukunftsstaat, der gar kein Staat, sondern ein in Harmonie ruhendes Nebeneinander Zweier Völker darstellt. Jedes Machtprinzip soll ausgeschaltet sein. Die Frage Majorität oder Minorität wird dann einfach als bedeutungslos betrachtet. Alle Konflikte lösen sich, und wenn sie sich heute noch nicht lösen wollen so befriedigt doch das ethische Pathos, mit dem diese Konzeption vorgetragen wird.

In Wirklichkeit ist dieser Gedanke Selbsttäuschung und ein ideologischer Sprung über die Wirklichkeit hinweg. Niemals werden die Araber, die vorläufig im Besitze der Majorität sind, solche Ideen in sich aufnehmen. Sie wollen ganz einfach Palästina für sich behalten. Es liegt in der Natur nationaler Bestrebungen, keine Position freiwillig zu räumen, sondern, umgekehrt, möglichst zu erweitern: Wir wollen Land, viel Land, so viel Land wie möglich. Wir wollen die wirtschaftlichen Schlüsselpositionen, wir wollen so viele jüdische Einwanderer wie dar Boden zu tragen vermag. Die Araber wollen dem nicht zustimmen. Sie wollen für sich das Gleiche: Ein Maximum an Boden, an wirtschaftlicher Stärke, an Einfluss im Lande.

Zwischen diesen beiden nationalen Tendenzen kann es zunächst keinen für beide Seiten annehmbaren Ausgleich geben. (Die Schweiz mit ihrer tausendjährigen Kultur und geographischen Abtrennung ihrer national verschiedenen Bewohner ist kein zum Vergleich taugliches Beispiel.)

Der Ausgleich kann immer erst eintreten, wenn ein Stadium erreicht ist, in dem eine sichtbare Beruhigung und Stabilisierung der Kräfte eingetreten ist, d. h. in unserem Fall, wenn wir bereits ein jüdisches Gemeinwesen in Palästina haben, an dessen Existenz die Araber nicht mehr rütteln können. Das Idealgebilde des Brith Schalom ist daher eine Utopie.

Ist es den Zionisten ernst mit ihrem Palästinastreben, ernst mit dem Wunsch, eine jüdische Heimstätte in Palästina zu errichten, so müssen sie ihre Zielvorstellung und ihre politische Methode dem grossen Gedanken der befreiten jüdischen Nation und den harten Gesetzen der Geschichte  anpassen.

Nicht aus Intoleranz gegenüber den Arabern, sondern weil nur so die jüdische Kolonisation durchführbar ist weisen wir den arabischen Anspruch auf eine "arabisch-nationale" Heimstätte in Palästina zurück. Die Araber sollen weder bedrückt noch verdrängt werden. Sie werden weiter in dem Lande wohnen, das durch jüdische Arbeit sich zur nationalen Heimstätte für das jüdische Volk umgestalten soll. England und der Völkerbund haben in der Balfour-Deklaration und im Mandat klar anerkannt, dass die Juden ein "nationales Heim" in Palästina erhalten sollen, während den Arabern nur der Schutz ihrer bürgerlichen. und religiösen Rechte zugestanden wurde.

Wenn heute der Brith Schalom oder ähnlich denkende Kreise diese Formulierung für ungerecht halten und die völlige Gleichartigkeit des jüdischen und des arabischen Anspruches auf Palästina behaupten, so kann man nur sagen, dass ihre Propaganda sich gegen das Ersterfordernis der zionistischen Politik wendet: nämlich gegen unser unbedingtes Festhalten an der Besonderheit unseres nationalen Anspruches auf Palästina.

Für uns ist Palästina die historische Heimat, für die Araber nicht. Wir brauchen Palästina für unser heimatloses Volk, die Araber verfügen rings um die Zentren ihrer ehemaligen Kultur über riesige ganz unentwickelte Gebiete. Wir sind im Stande, die Umwandlung Palästinas zu beiden Seiten des Jordan in ein von mehreren Millionen Juden und vielleicht einer Million   Arabern  bewohntes modernes Kulturland zu vollziehen. Die Araber vermögen das nicht. Wenn die Gerechtigkeit darin besteht, diese Umwandlung Palästinas in ein jüdisches Gemeinwesen zu verhindern, weil hunderttausend1 arabische Fellachenfamilien damit nicht einverstanden sind, oder weil der Mufti und die Effendis -das Ende ihrer Vormacht im Lande fürchten, so können wir uns mit solcher Auffassung von Gerechtigkeit nicht abfinden. Wir kämpfen für unseren Anspruch. Es mag sein, ja es ist sicher, dass wir unter den heutigen Verhältnissen nach zehn Jahren schlechter Politik und dauernder Rückschläge diesen Anspruch — der im Mandat klar anerkannt wurde — nicht über Nacht verwirklicht sehen werden. Aberweit schlimmer als der äussere Misserfolg ist der innere Verzicht. Gegen diesen Verzichtzionismus, der den Sinn der; Bewegung zum Unsinn macht, der sich mit der Illusion eines konfliktlosen, im ewigen Gleichgewicht aller Kräfte märchenhaft im Räume schwebenden Gerechtigkeitsstaates zu trösten sucht — gegen diesen ethisch geschmückten, aber hoffnungslos unpolitischen Anti-Judenstaats-Zionismus wendet sich der ideologische Kampf des Revisionismus.

Die Gefahr des Verzichtzionismus ist eine dreifache: In der politischen Welt, in England und im Völkerbund wird durch ihn der Gedanke verbreitet, die Juden selbst hätten eingesehen, dass der Traum vom Judenstaat unausführbar sei, ja, dass er ein Unrecht an den Arabern bedeute. Damit wird unsere politische Situation untergraben. Ferner: die Möglichkeit, trotz aller heute bestehenden Schwieriegkeiten zu dem erstrebten prozionistischen Kolonisationsregime zu kommen, hängt von der Einschätzung der praktischen Bedeutung des Zionismus durch England ab. Die Mandatarmacht, die gerne den Weg des geringsten Widerstandes wählt, kann sich mit einem unbedeutenden Kleinzionismus ganz gut abfinden, ja sie kann ihn recht gut verwenden. Aber so gelangen wir niemals zu einer ernsthaften Förderung des Zionismus, sondern zur Fortsetzung der bisherigen Methode. Das Kolonisationsregime kann nur dann von England erwartet werden, wenn die Zionisten es verstehen, ihre Sache, die eine grosse und ernste Sache ist, auch als solche darzustellen. Mit der Brith-Schalom-Ideologie kann man freundliche Worte, niemals die aktive Unterstützung einer Grossmacht gewinnen. Man muss heute leider sagen, dass unsere Position in England so heruntergewirtschaftet worden ist, dass die Aufgabe der Gewinnung Englands zur Unterstützung des Zionismus äusserst schwierig erscheint. Aber heute ist die Mandatarmacht gezwungen — durch die Ereignisse gezwungen — ihre Politik des Laissez aller aufzugeben und in die künftige Gestaltung Palästinas einzugreifen. Ihre Entscheidung wird wesentlich davon beeinflusst werden, wie sie die Zukunftsmöglichkeiten des Zionismus beurteilt. Ein jüdischer Kulturstaat im vorderen Orient unter englischer Oberhoheit kann einer Anstrengung der Engländer wert sein. Eine kleine Siedlung inmitten einer arabischen Majorität..? Wenn dies das Ziel der Juden selbst ist, kommt England lieber den Arabern entgegen. Man sagt, wir werden bei England doch nichts erreichen? Nun, dann war die Balfourdeklaration ein Irrtum und das Mandat ein Schwindel. Zumindest müssen wir es doch versuchen. Das Beharren auf unserem Ziel, die unermüdliche Bestrebung, die Mandatarmacht für unsere Pläne zu gewinnen, Misserfolge hinzunehmen, ohne uns dadurch zu entmutigen und von diesen Plänen abbringen zu lassen - das ist die politische Methode des Zionismus.

Endlich: Die schlimmste Folge jener Verzichtstimmung im Zionismus, jener literatenhaft-unwirklichen Brith Schalom-Konzeption ist der Niedergang der Bewegung selbst. Kein
Ziel mehr, keine Idee, die den Juden der Welt begeistern und zum nationalen Opferdienst fähig machen kann, keine Hoffnung für die Jugend, die sich ihr Land erbauen möchte
— was übrig bleibt, ist Philantropie, Geldsammlung und eine selbstgefällige Predigt von der ethischen Reinheit unseres Ideals. Palästina erscheint ganz im Geiste der einst vom   Zionismus bekämpften  Missionstheorie als jüdisches Symbol, nicht mehr als jüdische Wirklichkeit. Die "Arbeit für Palästina" tritt an die Stelle der "prophetischen Mission". Beide sind Gegenstand der Predigt, aber nicht Tatsachen des Lebens.

So endet der Zionismus dort, wo er begann, von wo er zu entrinnen hoffte: In der Galuth.

Dieser gedanklichen Entartung, die heute den Zionismus bedroht, die seine nationale Organisation zerstört, seine Werbekraft aushöhlt, tritt der Revisionismus entgegen. Wenn wir vom Ziel, vom Judenstaat sprechen, so geschieht es, weil die Bewegung in Gefahr ist, den Sinn ihres Daseins preiszugeben. Das Ziel ist fern und hoch aber nur dieses Ziel macht das  zionistische Dasein lebenswert.

Und nur das Streben zu diesem Ziel kann Menschen, kann Charaktere bilden, die die Kraft des Leidens und Beharrens besitzen, um gegen alle Hindernisse der äusseren Welt in immer erneuter Anstrengung um Palästina zu ringen und jene zionistische Politik zu gestalten, deren Grundsätze Herzl uns gelehrt hat:

"Ein Volk muss sich selbst helfen! Kann es das nicht, so ist ihm eben nicht zu helfen."

Und: "Die Juden, die wollen, werden ihren Staat haben und sie werden ihn verdienen".

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hagalil.com 10-05-07

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