Was ist Zionismus-Revisionismus?
Jüdische
Schriftenreihe, Nr. 1
Wien 1932
Verlag "Die Neue Welt", Wien IX
Herausgegeben von
Robert Stricker im Auftrage der Union der Zionisten-Revisionisten
Oesterreichs
Die von Vladimir Jabotinsky eingeleitete und geführte Bewegung des
Zionismus-Revisionismus hat begeisterte Zustimmung und erbitterte
Gegnerschaft hervorgerufen. Das hat zu einem Meinungskampfe von besonderer
Heftigkeit geführt, in dessem Verlaufe notgedrungen das Bild dieser Bewegung
verzerrt wird. Von gegnerischer Seite her ist man bestrebt, dem
Revisionismus den Stempel von Chauvinismus, Faschismus, Reaktion, ins
Ungemessene gesteigerte Phantasterei aufzudrücken. Die auf Freundesseite
hiedurch vorgerufene Abwehr ist nicht selten gleicherweise durch
Leidenschaftlichkeit getrübt und ausschweifend.
In nachstehenden Ausführungen werden die Grundzüge und das Programm des
Zionismus-Revisionismus auf Basis der von den maßgebenden revisionistischen
Tagungen gefaßten Beschlüsse und erlassenen Kundgebungen dargelegt.
Zurück zu Theodor
Herzl
Der Revisionismus ist keine "Abart" des Zionismus, kein "neuer" Zionismus,
keine "Entdeckung". Er ist seinem Wesen nach nichts anderes als
Herzl-Zionismus, das heißt: Er ist das Bestreben, den Zionismus wieder
mit den geistigen und politischen Grundsätzen Theodor Herzls, des Schöpfers
der Idee vom Judenstaate und Gründers der Zionistischen
Weltorganisation, in Einklang zu bringen. Die zionistische Bewegung ist
im Programme und in den Methoden von Herzls Weg abgeirrt. Das Programm
und die Methoden
sind in Herzlschem Geiste zu revidieren.
Wohl bringt der Revisionismus gewisse praktische Vorschläge betreffend die
Formen der wirtschaftlichen und politischen Aufbauarbeit, welche den
Verhältnissen in der Gegenwart angepaßt sind. Aber im Wesen ist
Zionismus-Revisionismus nichts anderes als die Rückkehr zu Theodor Herzl.
Zweck und Ziel
Der Zweck, den Theodor
Herzl mit seinem politischen Zionismus anstrebte, war: Beseitigung
der materiellen und moralischen Judennot, der Not des jüdischen Menschen
und des jüdischen Volkes. Er erkannte, daß Liberalismus, Sozialismus,
Kommunismus und alle anderen Zeitströmungen an der Judenfrage vorbeigehen
und sie ungelöst lassen; daß der Antisemitismus, trotz aller Wandlungen im
wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben, besteht und solange in
unverminderter Stärke bestehen wird, solange die Juden überall als
Minderheit in fremdnationaler Umgebung leben. Solange dieses Grundübel
nicht beseitigt ist, besteht die Judennot in unverminderter
Stärke. Aus dieser Erkenntnis heraus rief Theodor Herzl die Juden und
alle Kulturnationen zur Schaffung des Judenstaates auf. Eines Staates,
mit einer jüdischen Majorität, der Millionen bisher zerstreuter Juden
sammelt, ihnen die Möglichkeit ungestörter Arbeit, ungefährdeter
Existenz gibt, und denjenigen Juden, die in anderen Staaten leben, den
Schutz und Rückhalt verleiht, den jede staatsbildende Nation ihren
zerstreuten Volksgenossen bieten kann.
Der Zionismus von heute ist von der Richtung zum Judenstaate abgeirrt, er
ist vom Streben zum Judenstaate abgekommen und hat so den Charakter der
nationalen Freiheitsbewegung eingebüßt. Man begnügt sich mit einem
Wohltätigkeitszionismus, der, unter Verzicht auf große politische Ziele,
mit Hilfe jüdischen Spendengeldes einige tausend Juden in Palästina
ansiedeln will. Mit einem Kulturzionismus, der in der Schaffung eines
"geistigen" jüdischen Zentrums in Palästina das Ziel sieht. (Professor
Weizmann, der Vertreter der gegen die Idee vom Judenstaate gerichteten
Tendenz im Zionismus, sagte anläßlich des Zionistenkongresses 1931: "Wir
brauchen keine jüdische Majorität in Palästina, denn für die
Entwicklung jüdischer Kultur und Zivilisation ist eine
Majorität nicht erforderlich.") Man begnügt sich mit einem "Zionismus der
Auslese", der in Palästina beschränkte Gruppen von jüdischen "Edelmenschen"
züchten und sozialistische oder kommunistische "Musterwirtschaften"
errichten will.
Der Revisionismus ist die Bewegung gegen diesen verkleinernden und
verzichtenden Zionismus, welcher die Judenfrage nicht lösen kann,
welcher weder für den jüdischen Menschen noch für das jüdische Volk Hilfe in
der materiellen und seelischen Not bedeutet. Er fordert die Umgestaltung des
ungeteilten Palästina (Palästinas zu beiden Seiten des Jordans) in
ein sich selbst verwaltendes Gemeinwesen mit jüdischer Majorität, in
einen Judenstaat.
Zionistische Politik
Theodor Herzl hat erkannt, daß die Judenfrage eine weltpolitische
ist, das heißt, daß nicht nur die Juden, sondern alle Kulturnationen
an ihrer Lösung interessiert sind. Er beschränkte daher seine politische
Aufklärungs- und Werbearbeit nicht auf das jüdische Volk, sondern war
bestrebt, die Regierungen und maßgebenden politischen Faktoren aller
Kulturstaaten für die Lösung der Judenfrage im zionistischen Sinne zu
gewinnen. Er hob damit das Problem aus dem engen Rahmen einer
nur-jüdischen Angelegenheit heraus und machte das zionistische Problem
zum Gegenstand der Weltpolitik. Mit prophetischem Blick sprach er
davon, daß einst ein "Bund der Kulturvölker" dem unglücklichen
jüdischen Volke sein Recht, seinen Staat geben
werde. Herrlich ist die Saat dieser als phantastisch verspotteten und
bekämpften Herzl-Politik aufgegangen. Ihr und nur ihr ist es zu danken,
daß der von Herzl mehr als zwanzig Jahre früher angekündigte und nach dem
Weltkrieg geschaffene Völkerbund dem jüdischen Volke, in Anerkennung seiner
historischen Rechte, die "Wiederaufrichtung" des jüdischen
Nationalheims in Palästina feierlich zugesagt hat. (Das Wort
Wiederaufrichtung beweist, daß bei dieser Entschließung nur an einen
Judenstaat gedacht war.)
Zur Erreichung dieses Zweckes wurde Palästina keiner Einzelmacht
zugesprochen, sondern als Mandatsland des Völkerbundes erklärt.
England wurde zum Verwalter des Mandatslandes Palästina ernannt, mit
dem Auftrag, Palästina im Einverständnis mit der Jewish Agency (Zionistische
Organisation) in einer Art zu regieren und zu verwalten, die dahin gerichtet
ist, das jüdische Nationalheim zu schaffen, mit dem Auftrag, die Schaffung
des Nationalheims aktiv zu fördern. Der Revisionismus will eine
Politik, die auf die volle Einhaltung dieser vom Völkerbund und im
besonderen von England gegenüber dem jüdischen Volk übernommenen
Verpflichtung gerichtet ist. Eine Politik, welche jedes Abweichen von
dieser Verpflichtung bekämpft.
Wir und die
Mandatarmacht
Die englische Mandatarmacht hat im Laufe der letzten zehn Jahre gegen
den ihr erteilten und von ihr feierlich übernommenen Auftrag, die
Schaffung des jüdischen Nationalheims zu fördern, gehandelt.
Abtrennung
Transjordians.
England hat
Transjordanien von Palästina abgetrennt und den Juden die Ansiedlung in
Transjordanien untersagt, d. h. es hat das historische Palästina seiner
größeren und fruchtbareren Hälfte beraubt. Im abgetrennten, fruchtbaren und
weiten Transjordanien leben jetzt ungefähr 250.000 Araber, die den reichen
Boden weder ausnützen wollen, noch ausnützen können. Große Ländereien liegen
brach. Aber nach der Beraubung Palästinas und Transjordaniens stellt die
englische Verwaltung die Behauptung auf, daß in Palästina kein Platz mehr
für große Massen jüdischer Siedler frei gemacht werden kann.
Die Wiedervereinigung
Transjordaniens mit Palästina muß ein Hauptpostulat zionistischer Politik
sein.
Gegen die Ausschaltung
der zionistischen Organisation.
Entgegen dem Auftrag des Mandates, Palästina im Einvernehmen mit der Jewish
Agency (Zionistische Organisation) zu verwalten, hat die Palästina-Regierung
und die Londoner Zentralregierung die Zionistische Organisation völlig
ausgeschaltet, jedes maßgebenden Einflusses auf die Verwaltung beraubt.
Die wichtigsten Posten werden ausschließlich mit Engländern besetzt
(vielfach mit Antizionisten und Antisemiten), Gesetze und Verordnungen von
einschneidender Bedeutung werden erlassen, ohne die Zionistische
Organisation auch nur zu befragen, ohne ihr auch nur die Gelegenheit zu
einer Meinungsäußerung zu geben. Die Palästina-Regierung behandelt die
Zionistische Organisation so, als wäre sie irgend ein Verein im Lande
geduldeter Einwanderer, nicht aber die Repräsentanz des jüdischen
Volkes, welcher der Völkerbund das Recht der Mitbestimmung bewußt und
feierlich zuerkannt hat.
Einsetzung der
Zionistischen Organisation in das ihr vom Völkerbund zuerkannte Recht der
Mitbestimmung bei der Verwaltung Palästinas
muß gleichfalls eines der Hauptpostulate zionistischer Politik sein.
Nicht Duldung, sondern
Förderung!
Die englische Palästina-Regierung rühmt sich, daß sie
die jüdische
Einwanderung und Kolonisation nicht behindert, sondern wohlwollend duldet.
Ganz abgesehen davon, daß diese Behauptung unrichtig ist (Behinderung der
jüdischen Einwanderung durch rigorose und schikanöse Verordnungen,
wiederholte gänzliche Sperre derselben, gewaltsame Zuweisung von jüdischem
Boden an Araber usw.), muß sie als krasse Verletzung der Mandatspflicht
bezeichnet werden. Das Mandat schreibt der englischen Mandatsmacht nicht
vor, die jüdische Einwanderung und Kolonisation zu dulden, sondern
gibt ihr den Auftrag, die Kolonisierung des Landes durch Juden aktiv zu
fördern, d. h. alle in ihrem Wirkungsbereiche möglichen Maßnahmen zu
treffen, welche das Land für eine jüdische Massensiedlung bereit machen.
Kolonisations-Regime.
Vorbedingung für die Schaffung des jüdischen Nationalheims ist, daß das
jüdische Volk seine wertvollsten Kräfte und Mittel dieser großen Aufgabe
widmet. Aber selbst der ins Höchste gesteigerte Aufwand jüdischer Mittel und
Kräfte kann
die jüdische
Kolonisation Palästinas nicht bewirken,
wenn Palästina durch eine Regierung verwaltet wird, welche der jüdischen
Massensiedlung gleichgültig oder gar ablehnend gegenübersteht.
Wenn das Land von einer Regierung verwaltet wird, welche sich bestenfalls
damit begnügt, äußerlich Ordnung und Ruhe im Lande zu wahren, sonst aber
keine Maßnahmen trifft, welche
die jüdische
Kolonisation aktiv fördern, hingegen aber Gesetze und Verordnungen erläßt,
welche die
jüdische
Einwanderung und landwirtschaftliche und industrielle Kolonisation
behindern.
In Erkenntnis der Notwendigkeit dieser Vorbedingung fordert der
Revisionismus die Einrichtung eines Kolonisationsregimes in Palästina, d. h.
einer Regierung, welche die Förderung der jüdischen Kolonisation als eine
ihrer Hauptaufgaben ansieht und, bei voller Wahrung der Rechte der
Bewohner Palästinas, ihre gesetzgeberischen und verwaltungstechnischen
Maßnahmen so gestaltet, daß sie dem im Mandat vorgezeichneten Endzwecke, der
großzügigen landwirtschaftlichen, industriellen und gewerblichen
Kolonisation des Landes durch Juden, dienen.
Die wichtigsten Voraussetzungen eines Kolonisationsregimes sind: Besetzung
aller leitenden Beamtenposten im Einvernehmen mit der Jewish Agency mit
solchen Männern, die loyal zur Errichtung des jüdischen Nationalheims
eingestellt sind. Antizionisten und Antisemiten dürfen mit amtlichen
Stellen nicht betraut werden. Unbehinderte jüdische Einwanderung,
deren Regelung der Zionistischen Organisation obliegt. Freigabe von
Staatsländereien für die jüdische Kolonisation. Eine durchgreifende
Agrar-Reform, welche es unmöglich macht, daß in arabischen oder in jüdischen
Händen befindlicher Boden unbearbeitet bleibt oder unzureichend ausgenützt
wird. Solcher Boden soll dem Besitzer gegen entsprechende Entschädigung
entzogen und für intensive Kolonisierung durch ansäßige oder zugewanderte
Juden oder ansäßige landlose Araber bereitgestellt werden. Eine
Steuer- und Zollpolitik, welche in erster Linie der Förderung und dem
Schütze der palästinensischen Landwirtschaft und Industrie dient.
Zur Araberfrage
Nicht ganz eine Million Araber, nur ungefähr 2 Prozent des großen arabischen
Volkes, leben in Palästina (inklusive Transjordanien). Das arabische Volk
verfügt in Afrika und Asien über ein Gebiet, hundertmal so groß wie
Palästina, und mehrere selbständige Staaten. Der Völkerbund hat dem
zerstreuten, verfolgten, unglücklichen jüdischen 16-Millionen-Volk, das auch
nicht einen Fußbreit eigenen Landes besitzt, Palästina als nationale
Heimstätte zugesichert.
Ist das große arabische Volk durch diese Zuweisung Palästinas an die Juden
einer Lebensnotwendigkeit oder einer Voraussetzung für seine
nationale Entwicklung beraubt worden? — Nein!
Sind die 900.000 Araber Palästinas und Transjordaniens durch diese Zuweisung
in ihrer Existenz und in ihren bürgerlichen, nationalen und religiösen
Rechten bedroht? — Nein!
Niemand will die palästinensischen Araber vertreiben oder versklaven.
Niemand hat es nötig, dieses Ziel zu verfolgen. Denn das unter dem
rückständigen, arabischen Wirtschaftssystem verödete und verarmte Land ist —
und das hat die jüdische Arbeit bereits bewiesen — bei rationeller
Bewirtschaftung des Bodens und bei Entwicklung von Industrie, Gewerbe und
Handel imstande, viele Millionen Juden aufzunehmen, ohne daß dadurch die
Araber verdrängt oder geschädigt würden.
Im Gegenteil! Die Araber Palästinas haben durch die jüdische Einwanderung,
welche das Land in die Höhe bringt und ertragreich macht, immense Vorteile
erlangt. Der den Arabern eigene Boden ist im Preise enorm gestiegen und die
Lage des bisher versklavten arabischen Bauern, des Fellachen, gleicht sich
stetig der durch die jüdische Einwanderung bestimmten Europäisierung der
Lohn- und Lebensverhältnisse an. Der Araber hat seinen vollen Anteil an der
durch die jüdische Einwanderung bedingten Steigerung aller Besitzwerte,
wirtschaftlichen Entwicklung, Besserung der Lebensverhältnisse, Hebung der
allgemeinen Gesundheit usw., usw. Niemand will sie dieser Vorteile berauben.
Durch diese Feststellungen ist die Haltung der Zionisten-Revisionisten
bestimmt.
Sie erkennen dem Araber völlig gleiches Bürgerrecht und Wahrung der
nationalen und religiösen Freiheit zu. Aber sie lehnen es ab, die
Einwanderung der Juden und die jüdische Kolonisation des Landes von der
Zustimmung oder Ablehnung der neunhunderttausend palästinensischen Araber
abhängig machen zu lassen.
Nicht die neunhunderttausend palästinensischen Araber sind die Herren des
Landes. Herr des Landes ist der Völkerbund und er hat dieses Land als
jüdisches Nationalheim bestimmt, den Juden als Kolonisationsland feierlich
zugesprochen. Nicht die "jüdische Minorität" im Lande, nicht die 200.000
Juden in Palästina sind die Vertragspartner, sondern das 16-Millionen-Volk
der Juden. Nicht die "arabische Majorität", nicht die neunhunderttausend
Araber in Palästina sind der zweite Partner. Der zweite Vertragspartner ist
der Völkerbund, der sich entschlossen hat, das ihm zugefallene Land
den Juden zu geben und damit 2000jähriges, am jüdischen Volk begangenes
Unrecht gutzumachen.
Zufolge einer von außen hereingetragenen Agitation, an die sich Moskau, Rom,
englische Antisemiten und andere Interessenten an Unruhen im Lande beteiligt
haben, ist eine antizionistische Hetze im Lande entstanden. Große Teile der
Zionistischen Organisation haben sich unter dem Eindruck dieser Hetze zu
einer Taktik der scheinbaren Preisgabe der zionistischen Rechte, einer
scheinbaren Nachgiebigkeit gegenüber unberechtigten arabischen Forderungen
entschlossen. Man glaubt so, die Araber überlisten zu können. Ein anderer
Teil (Brith Schalom) will wirklich das zionistische Recht auf die jüdische
Majorität preisgeben. Beide haben mit ihrer Taktik nichts erreicht, haben
die Araber nicht um ein Jota versöhnlich gestimmt.
Eingedenk des großen Herzl-Wortes, daß der Zionismus nur deshalb groß ist,
weil er vor aller Welt ausspricht, was er glaubt, lehnen die
Zionisten-Revisionisten die Politik des Erlistens und Verzichtens als
nutzlos und unzionistisch ab.
Der Revisionismus fordert volles zionistisches Recht auf Palästina bei
voller Wahrung aller bürgerlichen, sozialen, nationalen und religiösen
Rechte der palästinensischen Araber. Das ist zionistisch. Nur
Kurzsichtigkeit oder Böswilligkeit können das als Chauvinismus oder Haß
gegen die Araber auslegen.
Wirtschaftliches
Programm
Zionismus-Revisionismus bedeutet entschiedene Abkehr von den Methoden des
wirtschaftlichen Aufbaues Palästinas, welche die Zionistische Organisation
im letzten Jahrzehnt befolgt hat. Auch hier gilt die Parole: "Zurück zu
Herzl!"
In den Mittelpunkt des zionistischen Wirtschaftsprogramms hat die
Zionistische Organisation die Spendenfonds, vor allem den Keren
Hajessod, den Aufbaufonds, gesetzt. "Durch die Spendenfonds wird das
jüdische Palästina wirtschaftlich aufgebaut. Sorgst du für die Spendenfonds,
dann hast du für den Aufbau gesorgt. Gibst du dem Spendenfonds, dann hast du
der zionistischen Pflicht vollauf Genüge getan."
Mit gesammelten Spenden, mit geschenktem Geld können politische und
organisatorische Arbeiten finanziert, können in Palästina gewisse
Institutionen gemeinnützigen Charakters gefördert oder erhalten werden.
(Höhere Kulturinstitute, erste Hilfe für mittellose Einwanderer, Hygiene,
Informationsdienst, Unterstützung von Siedlern, die auf besonders
exponierten Posten unter besonderen Schwierigkeiten arbeiten usw., usw.) Auf
diesen Gebieten können die zionistischen Fonds segensreich wirken und von
diesem Standpunkt aus betrachtet, stellen sie — abgesehen von notwendigen
Reformen ihrer Konstruktion und Führung — unentbehrliche Hilfsinstitutionen
dar, deren Förderung zionistisches Erfordernis, zionistische Pflicht ist.
Aber es ist verhängnisvoller Irrglaube, mit geschenktem Geld, mit
Spenden die Wirtschaft Palästinas, die Existenz von Hunderttausenden
Menschen, eine tragfähige, den Menschen ernährende Landwirtschaft,
Industrie, Gewerbe und Handel aufbauen, die Bedürfnisse einer
Massenkolonisation befriedigen zu können.
Dieser Irrglaube hat verschuldet, daß die von Herzl geschaffene politische
Weltorganisation in einen Spendensammelapparat umgewandelt
wurde, mit einem großen und kostspieligen Beamtenheer, mit dem Hauptzweck,
aus den immer widerwilligeren jüdischen Massen Spendengelder herauszuziehen;
daß alle großen und notwendigen politischen und organisatorischen Aufgaben
vernachlässigt und alle Bemühungen auf das Spendensammeln konzentriert
wurden. Wohl ist es auf diesem Wege gelungen, ein großes Kapital vom armen
jüdischen Volk zu bekommen. Vom Jahre 1919 bis heute dürften die
verschiedenen Fonds 12 bis 15 Millionen Pfund aufgebracht" haben. Die
wirtschaftlichen Leistungen dieses Kapitals in Palästina aber sind im
Verhältnis hiezu verschwindend klein, wenn man sie mit dem vergleicht, was
das von der zionistischen Propaganda so vernachlässigte, vielfach behinderte
jüdische private Klein- und Mittelkapital in Palästina geleistet hat.
Theodor Herzl hat diesem Irrglauben nie gehuldigt, er hat nie daran gedacht,
die Wirtschaft im Judenstaate könne mit Spendengeld geschaffen
werden.
Sein Plan war dahin gerichtet, durch eine großangelegte wirtschaftliche
Institution und eine großzügige Propaganda, jüdisches Privatkapital vor dem
Verfall in der Galuth rechtzeitig zu retten und nach Palästina zu leiten, wo
es fruchtbringend arbeiten soll, fruchtbringend für das Land und seine
wirtschaftliche Entwicklung und fruchtbringend für seine Besitzer.
Theodor Herzl hat den zionistischen Fonds gewiß Verständnis
entgegengebracht. Wurde doch der Jüdische Nationalfonds unter seiner
Patronanz geschaffen. Aber er hat ihnen keine zentrale Bedeutung
zuerkannt. So ist es kein Zufall, daß in seinen großen
wirtschaftlichen Aufbauplänen von den Fonds keine Rede ist. Nicht die Fonds
hat er vorangesetzt, sondern die Bank, die großen Institute für
Liquidierung und Ueberführung.
Auch auf wirtschaftlichem Gebiet fordert der Revisionismus nichts anderes
als Abkehr von der Fondspolitik und Rückkehr zum Herzlschen
Wirtschaftsprogramm, zum Programm der Ueberführung des jüdischen
Privatkapitals und der mit ihm verbundenen jüdischen Wirtschaftskräfte aus
der Galuth nach Palästina. Wichtige Mittel zur Erreichung dieses Zweckes
sind:
Propaganda.
Dem Juden in der Galuth muß vor Augen geführt werden, daß der Aufbau
Palästinas keine Wohltätigkeitsangelegenheit ist, keine "Hilfe für
arme verfolgte Brüder", sondern, daß er ihn selbst betrifft, einen
Schutz vor der Gefahr bildet, in der er selbst sich heute befindet
oder morgen befinden muß. Theodor Herzl hat in Zeiten einer scheinbaren
jüdisch-wirtschaftlichen Blüte vorausgesagt, daß die moralische und mit ihr
die wirtschaftliche Judennot steigen und immer weitere jüdische Kreise
erfassen müsse, daß schließlich die überwiegende Mehrheit aller Juden ihr
Opfer werden wird. Die Juden von gestern haben diese prophetischen Worte in
den Wind geschlagen. Heute, da ein ins Ungemessene gewachsener
Antisemitismus die Juden aus allen wirtschaftlichen Positionen in dem von
Wirtschaftskrisen zerrütteten Europa und Amerika wirft, versteht jeder Jude
die Herzischen Worte von der unvermeidlich wachsenden Judennot. Jeder Jude —
man kann sagen: fast ausnahmslos — denkt sorgenvoll: Werde ich morgen noch
etwas verdienen? Was fange ich mit meinen Kindern an? Was fange ich
mit dem mir noch gebliebenen Kapital an, das bald verzehrt sein wird, wenn
ich es nicht irgendwohin rette, wo es weiter arbeiten kann!
Denke an Palästina, trachte darnach, dich, deine Kinder, dein Kapital
irgendwie mit Palästina in Verbindung zu bringen! — Diese Antwort, die noch
vor kurzem mit einem ungläubigen, geringschätzenden Achselzucken aufgenommen
worden wäre, stößt überall auf Verständnis. Denn die von Herzl
vorausgesagte, alle umfassende Judennot ist da, und ein aufblühendes,
jüdisches Palästina ist da. Ein Palästina, in welchem bereits 200.000
Juden eine wirtschaftliche und moralisch gesunde Existenz führen, frei von
den erdrückenden Sorgen der Juden in der Galuth, ein Palästina, das noch
Millionen aufnehmen kann.
Diese zionistische Propaganda bringt alle Juden gedanklich und gefühlsmäßig
mit dem werdenden Judenstaate in Verbindung und schafft damit die erste
Vorbedingung für den raschen und großzügigen Aufbau der palästinensischen
Wirtschaft.
Informations- und
Wirtschaftsdienst
Die Zionistische Organisation hat dafür zu sorgen, daß die Kenntnis der
wirtschaftlichen Bedingungen und Möglichkeiten Palästinas den weitesten
jüdischen Kreisen zugänglich werde. Diese Kenntnis, auf zuverlässige
Information und Beratung gestützt, ist einerseits der wirksamste Anreiz für
die Ueberführung von Kapital und Menschen nach Palästina, anderseits der
beste Schutz gegen Kapitals- und Kräfteverluste: In Palästina ein
Informationsdienst, der alle Branchen umfaßt; in den Galuth-Institutionen
(palästinensische Gewerbe- und Handelskammern, Beratungsstellen usw.). Wer
nach Palästina gehen will, wer mit Palästina in wirtschaftliche Verbindung
irgend welcher Art treten will, soll jederzeit verläßliche Auskünfte
erhalten. Diese Stellen dürfen nicht bürokratisch, sie müssen fachmännisch
geleitet werden.
Sparvereine und
Ueberwanderungsgenossenschaften
Ein Mensch, dessen wirtschaftliche Zukunft bedroht ist, und der daran denkt,
sich eine neue, bessere Existenz zu schaffen, muß mit seinen Mitteln
vorsichtig umgehen, überflüssige Ausgaben vermeiden, er muß sparen
und über die ersparten Mittel so verfügen, daß die Art ihrer Anlage der
Errichtung seiner neuen Existenz diene.
Für Völker gilt dasselbe; in erhöhtem Maße für das jüdische Volk, das
seine wirtschaftlichen Positionen in allen Ländern schwinden sieht und sich
in Palästina eine neue Existenz schaffen will.
Sparen und zweckdienlich
anlegen!
Große Summen jüdischen Sparkapitals liegen in europäischen und
amerikanischen Banken, Sparkassen, Versicherungsgesellschaften,
Aktiengesellschaften. Der jüdische Sparer erhält eine meist nicht allzu
große Verzinsung, hat sonst aber keinen Einfluß auf die Gebarung mit den
Geldern und ihre Verwendung. Er kann nicht verhindern, daß z. B. die
Institutionen, welche mit seinem Geld arbeiten, und Unternehmungen, welche
wieder von diesen Institutionen mit Kapital und Kredit versorgt werden,
ihrerseits keinen Juden anstellen, keinem Juden Kredit geben, kein
jüdisches Unternehmen fördern.
Der jüdische Sparer ist von seinem Sparkapital völlig isoliert, zwischen ihn
und sein Geld hat sich eine nichtjüdische, fremde, oft feindliche Macht
gedrängt.
Der Revisionismus will dieser
unnatürlichen Scheidung zwischen jüdischem Sparkapital und dem
jüdischen Sparer, zwischen jüdischem Sparkapital und dem jüdischen Volke
und Lande ein Ende machen. Das Mittel hierzu ist die Gründung von
jüdischen Sparvereinen auf der ganzen Welt. Diese Sparvereine sollen
zwei Zwecken dienen. Der Jude soll mit dem Ziele sparen, seine oder seiner
Nachkommen Uebersiedlung nach Palästina vorzubereiten. Das ist der eine
Zweck. Der mit ihm eng verbundene zweite Zweck ist, das jüdische
Sparkapital der ganzen Welt in Palästina arbeiten zu lassen.
Landwirtschaft und Industrie in Palästina stehen vor ungeahnten
Möglichkeiten. Das große Kapital, der jüdische Kredit fehlt. Die
palästinensische Wirtschaft, welche bewiesen hat, daß sie einen normalen
Zinsendienst leicht erträgt, erhält kein Kapital oder nur minimales zu
Wucherzinsen. Das kleine und mittlere jüdische Sparkapital der Welt — wenn
man auch das große außer acht läßt — kann eine Kreditquelle sondergleichen
bieten. Es kann in Palästina eine Entwicklung der Wirtschaft in die Wege
leiten, welche eine Masseneinwanderung von jüdischen Arbeitern und
Gewerbetreibenden zur Folge haben muß. Die Masseneinwanderung, die
einzig und allein die Erreichung des zionistischen Zieles ermöglicht.
Mit jüdischem Spargeld, das Größtes schaffen kann, nicht mit jüdischem
Spendengeld, das nur Hilfsfunktionen verrichten kann, ist die jüdische
Wirtschaft in Palästina aufzubauen. Bruch mit der illusionären,
wirtschaftlichen Spendenfondspolitik. Zurück zur Wirtschaftspolitik Theodor
Herzls, die das jüdische Kapital und mit ihm die jüdischen
Menschen nach Palästina bringt.
Ueberwanderungsgenossenschaften (Kooperativen)
Durch Zusammenschluß von Menschen, die in absehbarer Zeit nach Palästina und
sich auf ihren derzeitigen wirtschaftlichen Gebieten betätigen wollen, wird
die Ueberwanderung und Festsetzung auf palästinensischem Boden billiger und
risikoloser gestaltet. Durch die Genossenschaft werden Mut und Tatkraft,
wird der Wille zur Ueberwindung gestärkt. Das gilt insbesondere für die
Landwirtschaft, aber auch für gewisse Gewerbe und Industrien: Gemeinsame
Information, gemeinsamer Bodenkampf, gemeinsame Maschinen, gegenseitige
Hilfe, gemeinsame Kreditoperationen usw. Einen wertvollen Grundstock für die
Genossenschaft wird die Mitgliedschaft der Sparvereine abgeben.
Tozereth
Haaretz
Die wirksamste Förderung erfährt der Aufbau Palästinas, seine Landwirtschaft
und seine Industrie durch Steigerung des Absatzes palästinensischer Produkte
in der Galuth.
Wer regelmäßig Palästina-Produkte in seinem Haushalt, in seinem Geschäft, zu
Geschenkzwecken usw., benützt, wer die Verwendung palästinensischer
Erzeugnisse zur eigenen Gewohnheit und zur Gewohnheit seiner Freunde macht,
leistet damit für den Palästina-Aufbau weit mehr, als wenn er hie und da
eine Summe, sei sie auch zahlenmäßig bedeutend, spendet.
Des Spendens wird man müde, die Lust am Spenden ist vergänglich, Spenden ist
eine nur mittelbare Betätigung. Der Gebrauch von Palästina-Produkten
ist unmittelbare Verbindung mit Palästina, des Gebrauches
vollwertiger Palästina-Produkte wird man nie müde. Gespendet wird
sporadisch, konsumiert wird beständig.
Ist die Zahl vollwertiger und preiswerter Palästina-Produkte heute auch noch
keine allzu große (Orangen, Honig, Fruchtsäfte, Wein, Kognak, Seife, Oele,
Parfüms, Geschenkartikel usw.), so ist hingegen der Absatzmarkt ein
unbeschränkter — 15 Millionen Juden allein — abgesehen von
nichtjüdischen Konsumenten — und, weil über die ganze Welt verbreitet, von
Krisen wenig beeinflußt. Bei richtiger Propaganda kann die Zahl dieser
Produkte unendlich gesteigert werden.
Weitaus wichtiger als die Rolle des freiwilligen Spendensammlers für
Palästina ist die Rolle des Agenten für Palästina-Produkte in der Galuth.
Tozereth Haaretz ist eine Selbstverständlichkeit.
Schutz und
Selbstverteidigung
Der Verlauf des Lebens in Palästina, insbesondere aber die wiederholten
Unruhen im Lande haben bewiesen, daß die Juden nur dort wirklich geschützt
sind, wo sie sich selbst schützen. Die Wirksamkeit einer englischen
oder gar arabischen Garnison, Polizei, Gendarmerie ist — selbst
unzweifelhafte Zuverlässigkeit vorausgesetzt — eine beschränkte. Aber auch
diese beschränkte Wirksamkeit wird illusorisch, weil die Erfahrung gelehrt
hat, daß im Falle der Gefahr und in Augenblicken, wo gewissenhafte
Wachsamkeit und energisches Handeln geboten waren, die englischen
Formationen lässig waren und die arabische Polizei vielfach den
Unruhestiftern Vorschub leistete. Nur wo der jüdische Selbstschutz (Haganah)
eingreifen konnte, sind Angriffe auf Leben und Eigentum wirksam abgewehrt
worden. Anderseits aber hat sich erwiesen, daß die entweder geduldete oder
"illegale" Haganah im Falle der Gefahr von der "legalen" Polizei
unterdrückt, entwaffnet, aktionsunfähig gemacht wird.
Deshalb fordert der Revisionismus für die Juden einen entsprechenden Anteil
an der Verteidigung des Landes und an der Polizeimacht. Das
jüdische Regiment, welches in den Jahren 1917 bis 1921 bestand, soll
wieder errichtet werden und einen integralen und permanenten Teil der
palästinensischen Garnison bilden.
Der Revisionismus fordert ferner nationale und -wehrsportliche Erziehung der
jüdischen Jugend in Palästina und in der Galuth. Die jüdische Jugend sei
jederzeit fähig und bereit zum Selbstschutz, in Palästina und in der Galuth.
Soziale Ordnung —
Ablehnung der Klassenkampfidee — Jüdische Arbeit
Theodor Herzls "Judenstaat" ist durchdrungen vom Geist der Liebe und Achtung
für den Arbeiterstand. Ueberall findet sich bei Herzl die Forderung nach
gerechtem Lohn, gerechter Behandlung und einer seiner Wichtigkeit
entsprechenden Vertretung am öffentlichen Leben für die Arbeiterschaft. Aber
Theodor Herzl lehnt den Klassenkampf als Mittel zur Erfüllung dieser
Forderung ab. Getreu dem Herzischen Programm lehnt auch der Revisionismus
den Klassenkampf als Mittel zur Herstellung einer gerechten sozialen Ordnung
ab.
Ob der Klassenkampf im allgemeinen Völkerleben zum sozialen Frieden, zur
Lösung der sozialen Frage führen kann, sei dahingestellt. Die
bisherige Entwicklung hat das jedenfalls nicht erwiesen. Aber klar ist, daß
die Idee des Klassenkampfes im Zionismus schwächend und zerstörend wirken
muß. Das von Fremden verfolgte und bedrängte jüdische Volk ist bei der
Aufrichtung seiner Existenz und der Aufrichtung der jüdischen Wirtschaft im
jüdischen Lande auf die Zusammenfassung aller Kräfte angewiesen. Der
Klassenkampf macht diese Zusammenfassung unmöglich und führt zur Sprengung
der noch schwachen, in der ersten Entwicklung begriffenen nationalen
Wirtschaft in Palästina. Diese Wirtschaft verträgt sicherlich keinen
Kampf der jüdischen Klassen gegeneinander. Die Idee vom Klassenkampf
entfremdet aber auch
die jüdischen
Menschen, insbesondere die jungen jüdischen Menschen, dem nationalen Ideal"
dem zionistischen Ideal und treibt sie in den Dienst eines fremden Ideals.
Die Entwicklung in der Zionistischen Organisation und in Palästina haben den
Beweis hiefür erbracht. Der Abfall von der Organisation und der Zulauf zum
bolschewistischen Kommunismus werden immer fühlbarer, seitdem die
Zionistische Organisation auf die Ablehnung der Klassenkampfidee verzichtet
hat, seitdem in der Zionistischen Organisation und in Palästina der
Klassenkampf als Idee anerkannt und propagiert wird.
Der Revisionismus fordert die Einrichtung des nationalen Schiedsgerichtes,
welches, von Arbeitern und Unternehmern paritätisch gebildet und unter
Aufsicht der Zionistischen Organisation stehend, in allen Fragen der
Arbeitsverteilung, Arbeitsvermittlung, in Streitfragen, welche Löhne und
Arbeitsbedingungen betreffen, zu entscheiden hat.
Der Revisionismus fordert rückhaltloses Bekenntnis zur jüdischen Arbeit
in Palästina.
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10-05-07 |