Jom haAzmauth 05.Ijjar - 14.Mai
Unabhängigkeitstag des Staates Israel
Theodor Herzl / Benjamin S'ew Herzl:
Der Judenstaat -
Medinath haJehudim
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Vorrede
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Einleitung
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Allgemeiner Teil
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Die Jewish Company
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Ortsgruppen
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Society of Jews und Judenstaat
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Schlußwort
ALLGEMEINER TEIL
DIE JUDENFRAGE
Die Notlage der Juden wird niemand leugnen. In
allen Länden, wo sie in merklicher Anzahl leben, werden sie mehr
oder weniger verfolgt. Die Gleichberechtigung ist zu ihren Ungunsten
fast überall tatsächlich aufgehoben, wenn sie im Gesetze auch
existiert.
Schon die mittelhohen Stellen im Heer, in
öffentlichen und privaten Ämtern sind ihnen unzugänglich. Man
versucht, sie aus dem Geschäftsverkehr hinauszudrängen: «Kauft nicht
bei Juden!»
Die Angriffe in Parlamenten, Versammlungen, Presse, auf
Kirchenkanzeln, auf der Straße, auf Reisen - Ausschließung aus
gewissen Hotels - und selbst an Unterhaltungsorten mehren sich von
Tag zu Tag. Die Verfolgungen haben verschiedenen Charakter nach
Ländern und Gesellschaftskreisen. In Rußland werden Judendörfer
gebrandschatzt, in Rumänien erschlägt man ein paar Menschen, in
Deutschland prügelt man sie gelegentlich durch, in Österreich
terrorisieren die Antisemiten das ganze öffentliche Leben, in
Algerien treten Wanderhetzprediger auf, in Paris knöpft sich die
sogenannte bessere Gesellschaft zu, die Cercles schließen sich gegen
die Juden ab. Die Nuancen sind zahllos. Es soll hier übrigens nicht
eine wehleidige Aufzählung aller jüdischen Beschwerden versucht
werden. Wir wollen uns nicht bei Einzelheiten aufhalten, wie
schmerzlich sie auch seien.
Ich beabsichtige nicht, eine gerührte Stimmung für uns
hervorzurufen. Das ist alles faul, vergeblich und unwürdig. Ich
begnüge mich, die Juden zu fragen: Ob es wahr ist, daß in den
Ländern, wo wir in merklicher Anzahl wohnen, die Lage der jüdischen
Advokaten, Ärzte, Techniker, Lehrer und Angestellten aller Art immer
unerträglicher wird? Ob es wahr, daß unser ganzer jüdischer
Mittelstand schwer bedroht ist? Ob es wahr, daß gegen unsere Reichen
alle Leidenschaften des Pöbels gehetzt werden? Ob es wahr, daß
unsere Armen viel härter leiden als jedes andere Proletariat?
Ich glaube, der Druck ist überall vorhanden. In den wirtschaftlich
obersten Schichten der Juden bewirkt er ein Unbehagen.
In den mittleren Schichten ist es eine schwere dumpfe Beklommenheit.
In den unteren ist es die nackte Verzweiflung.
Tatsache ist, daß es überall auf dasselbe hinausgeht, und es läßt
sich im klassischen Berliner Rufe zusammenfassen: «Juden raus!»
Ich werde nun die Judenfrage in ihrer knappsten Form ausdrücken:
Müssen wir schon «raus»? und wohin? Oder können wir
noch bleiben? und wie lange?
Erledigen wir zuerst die Frage des Bleibens. Können
wir auf bessere Zeiten hoffen, uns in Geduld fassen, mit
Gottergebung abwarten, daß die Fürsten und Völker der Erde in eine
für uns gnädigere Stimmung geraten? Ich sage, wir können keinen
Umschwung der Strömung erwarten. Warum? Die Fürsten - selbst wenn
wir ihrem Herzen ebenso nahestehen wie die anderen Bürger - können
uns nicht schützen. Sie würden den Judenhaß indossieren, wenn sie
den Juden zuviel Wohlwollen bezeigten. Und unter diesem «zuviel» ist
weniger zu verstehen, als worauf jeder gewöhnliche Bürger oder jeder
Volksstamm Anspruch hat. Die Völker, bei denen Juden wohnen, sind
alle samt und sonders verschämt oder unverschämt Antisemiten.
Das gewöhnliche Volk hat kein historisches Verständnis und kann
keines haben. Es weiß nicht, daß die Sünden des Mittelalters jetzt
an den europäischen Völkern heimkommen. Wir sind, wozu man uns in
den Ghetti gemacht hat. Wir haben zweifellos eine Überlegenheit im
Geldgeschäfte erlangt, weil man uns im Mittelalter daraufgeworfen
hat.Jetzt wiederholt sich der gleiche Vorgang. Man drängt uns wieder
ins Geldgeschäft, das jetzt Börse heißt, indem man uns alle anderen
Erwerbszweige abbindet. Sind wir aber in der Börse, so wird das
wieder zur neuen Quelle unserer Verächtlichkeit. Dabei produzieren
wir rastlos mittlere Intelligenzen, die keinen Abfluß haben und
dadurch eine ebensolche Gesellschaftsgefahr sind wie die wachsenden
Vermögen. Die gebildeten und besitzlosen Juden fallen jetzt alle dem
Sozialismus zu. Die soziale Schlacht müßte also jedenfalls auf
unserem Rücken geschlagen werden, weil wir im kapitalistischen wie
im sozialistischen Lager auf den exponiertesten Punkten stehen.
Bisherige Versuche der Lösung
Die künstlichen Mittel, die man bisher zur
Überwindung des Judennotstandes aufwandte, waren entweder zu
kleinlich - oder falsch gedacht.
Die künstlichen Mittel, die man bisher zur
Überwindung des Judennotstandes aufwandte, waren entweder zu
kleinlich - wie die verschiedenen Kolonisierungen - oder falsch
gedacht, wie die Versuche, die Juden in ihrer jetzigen Heimat zu
Bauern zu machen.
Was ist denn damit getan, wenn man ein paar tausend Juden in eine
andere Gegend bringt? Entweder sie gedeihen, und dann entsteht mit
ihrem Vermögen der Antisemitismus - oder sie gehen gleich zugrunde.
Mit den bisherigen Versuchen der Ableitung armer Juden nach anderen
Ländern haben wir uns schon vorhin beschäftigt. Die Ableitung ist
jedenfalls ungenügend und zwecklos, Wenn nicht geradezu zweckwidrig.
Die Lösung wird dadurch nur vertagt, verschleppt und vielleicht
sogar erschwert.
Wer aber die Juden zu Ackerbauern machen will, der ist in einem
wunderlichen Irrtume begriffen. Der Bauer ist nämlich eine
historische Kategorie, und man erkennt das am besten an der Tracht,
die in den meisten Ländern Jahrhunderte alt ist, sowie an seinen
Werkgerätschaften, die genau dieselben sind wie zu Urväterzeiten.
Sein Pflug ist noch so, er sät aus der Schürze, mäht mit der
geschichtlichen Sense und drischt mit dem Flegel. Wir wissen aber,
daß es jetzt für all das Maschinen gibt. Die Agrarfrage ist auch nur
eine Maschinenfrage. Amerika muß über Europa siegen, so wie der
Großgrundbesitz den kleinen vertilgt. Der Bauer ist also eine auf
den Aussterbeetat gesetzte Figur. Wenn man den Bauer künstlich
konserviert, so geschieht es wegen der politischen Interessen, denen
er zu dienen hat. Neue Bauern nach dem alten Rezept machen zu
wollen, ist ein unmögliches und törichtes Beginnen. Niemand ist
reich oder stark genug, die Kultur gewaltsam zurückzuschrauben.
Schon das Erhalten veralteter Kulturzustände ist eine ungeheuere
Aufgabe, für die alle Machtmittel selbst des autokratisch geleiteten
Staates kaum ausreichen. Will man also dem Juden, der intelligent
ist, zumuten, ein Bauer alten Schlages zu werden? Das wäre gerade
so, wie wenn man dem Juden sagte: «Da hast du eine Armbrust, zieh in
den Krieg!» - Was? Mit einer Armbrust, wenn die anderen
Kleinkalibergewehre und Kruppsche Kanonen haben? Die Juden, die man
verbauern will, haben vollkommen recht, wenn sie sich unter solchen
Umständen nicht vom Flecke rühren. Die Armbrust ist eine schöne
Waffe, und sie stimmt mich elegisch, wenn ich Zeit habe. Aber sie
gehört ins Museum.
Nun gibt es freilich Gegenden, wo die verzweifelten Juden sogar aufs
Feld gehen oder doch gehen möchten. Und da zeigt sich, daß diese
Punkte - wie die Enklave von Hessen in Deutschland und manche
Provinzen Rußlands - gerade die Hauptnester des Antisemitismus sind.
Denn die Weltverbesserer, die den Juden ackern schicken, vergessen
eine sehr wichtige Person, die sehr viel dreinzureden hat. Und das
ist der Bauer. Auch der Bauer hat vollkommen recht. Grundsteuer,
Erntegefahr, Druck der Großbesitzer, die billiger arbeiten, und
besonders die amerikanische Konkurrenz machen ihm das Leben sauer
genug. Dazu können die Kornzölle nicht ins Endlose wachsen. Man kann
den Fabrikarbeiter doch auch nicht verhungern lassen; man muß, weil
sein politischer Einfluß im Steigen ist, sogar immer mehr Rücksicht
auf ihn nehmen.
Alle diese Schwierigkeiten sind wohlbekannt, ich erwähne sie daher
nur flüchtig. Ich wollte lediglich andeuten, wie wertlos die
bisherigen in bewußter Absicht - in den meisten Fällen auch in
löblicher Absicht - gemachten Versuche der Lösung waren. Weder die
Ableitung noch die künstliche Herabdrückung des geistigen Niveaus in
unserem Proletariat kann helfen. Das Wundermittel der Assimilierung
haben wir schon erörtert.
So ist dem Antisemitismus nicht beizukommen. Er kann nieht behoben
werden, solange seine Gründe nicht behoben sind. Sind diese aber
behebbar?
Gründe des Antisemitismus
Wir sprechen jetzt nicht mehr von den
Gemütsgründen, alten Vorurteilen und Borniertheiten, sondern von den
politischen und wirtschaftlichen Gründen. Unser heutiger
Antisemitismus darf nicht mit dem religiösen Judenhasse früherer
Zeiten verwechselt werden, wenn der Judenhaß auch in einzelnen
Ländern noch jetzt eine konfessionelle Färbung hat.
Der große Zug der judenfeindlichen Bewegung ist heute ein anderer.
In den Hauptländern des Antisemitismus ist dieser eine Folge der
Judenemanzipation. Als die Kulturvölker die Unmenschlichkeit der
Ausnahmegesetze einsahen und uns freiließen, kam die Freilassung zu
spät. Wir waren gesetzlich in unseren bisherigen Wohnsitzen nicht
mehr emanzipierbar. Wir hatten uns im Ghetto merkwürdigerweise zu
einem Mittelstandsvolk entwickelt und kamen als eine fürchterliche
Konkurrenz für den Mittelstand heraus. So standen wir nach der
Emanzipation plötzlich im Ringe der Bourgeoisie und haben da einen
doppelten Druck auszuhalten, von innen und von außen. Die
christliche Bourgeoisie wäre wohl nicht abgeneigt, uns dem
Sozialismus als Opfer hinzuwerfen; freilich würde das wenig helfen.
Dennoch kann man die gesetzliche Gleichberechtigung der Juden, wo
sie besteht, nicht mehr aufheben. Nicht nur, weil es gegen das
moderne Bewußtsein wäre, sondem auch, weil das sofort alle Juden,
arm und reich, den Umsturzparteien zujagen würde. Man kann
eigentlich nichts Wirksames gegen uns tun. Früher nahm man den Juden
ihre Juwelen weg. Wie will man heute das bewegliche Vermögen fassen?
Es ruht in bedruckten Papierstücken, die irgendwo in der Welt,
vielleicht in christlichen Kassen, eingesperrt sind. Nun kann man
freilich die Aktien und Prioritäten von Bahnen, Banken,
industriellen Untemehmungen aller Art durch Steucrn treffen, und wo
die progressive Einkommenssteuer besteht, läßt sich auch der ganze
Komplex des beweglichen Vermögens packen. Aber alle derartigen
Versuche können nicht gegen Juden allein gerichtet sein, und wo man
es dennoch versuchen möchte, erlebt man sofort schwere
wirtschaftliche Krisen, die sich keineswegs auf die zuerst
betroffencen Juden beschränken. Durch diese Unmöglichkeit, den Juden
beizukommcn, verstärkt und verbittert sich nur der Haß. In den
Bevölkerungen wächst der Antisemitismus täglich, stündlich und muß
weiter wachsen, weil die Ursachen fortbestehen und nicht behoben
werden können. Die causa remota ist der im Mittelalter eingetretene
Verlust unserer Assimilierbarkeit, die causa proxima unsere
Überproduktion an mittleren Intelligenzen, die keinen Abfluß nach
unten haben und keinen Aufstieg nach oben - nämlich keinen gesunden
Abfluß und keinen gesunden Aufstieg. Wir werden nach unten hin zu
Umstürzlern proletarisiert, bilden die Unteroffiziere aller
revolutionären Parteien, und gleichzeitig wächst nach oben unsere
furchtbare Geldmacht.
Wirkung des Antisemitismus
Der auf uns ausgeübte Druck macht uns nicht
besser. Wir sind nicht anders als die anderen Menschen.
Wir lieben unsere Feinde nicht, das ist ganz wahr. Aber nur wer sich
selbst zu überwinden vermag, darf es uns vorwerfen. Der Druck
erzeugt bei uns natürlich eine Feindseligkeit gegen unsere Bedränger
- und unsere Feindseligkeit steigert wieder den Druck. Aus diesem
Kreislauf herauszukommen ist unmöglich.
«Doch!» werden weichmütige Schwärmer sagen, «doch, es ist möglich!
Und zwar durch die herbeizuführende Güte der Menschen.»
Brauche ich wirklich erst noch zu beweisen, was das für eine
sentimentale Faselei ist? Wer eine Besserung der Zustände auf die
Güte aller Menschen gründen wollte, der schriebe allerdings eine
Utopie!
Ich sprach schon von unserer «Assimilierung». Ich sage keinen
Augenblick, daß ich sie wünsche. Unsere Volkspersönlichkeit ist
geschichtlich zu berühmt und trotz aller Erniedrigungen zu hoch, als
daß ihr Untergang zu wünschen wäre. Aber vielleicht könnten wir
überall in den uns umgebenden Völkern spurlos aufgehen, wenn man uns
nur zwei Generationen hindurch in Ruhe ließe. Man wird uns nicht in
Ruhe lassen. Nach kurzen Perioden der Duldsamkeit erwacht immer und
immer wieder die Feindseligkeit gegen uns. Unser Wohlergehen scheint
etwas Aufreizendes zu enthalten, weil die Welt seit vielen
Jahrhunderten gewohnt war, in uns die Verächtlichsten unter den
Armen zu sehen. Dabei bemerkt man aus Unwissenheit oder
Engherzigkeit nicht, daß unser Wohlergehen uns als Juden schwächt
und unsere Besonderheiten auslöscht. Nur der Druck preßt uns wieder
an den alten Stamm, nur der Haß unserer Umgebung macht uns wieder zu
Fremden. So sind und bleiben wir denn, ob wir es wollen oder nicht,
eine historische Gruppe von erkennbarer Zusammengehörigkeit.
Wir sind ein Volk - der Feind macht uns ohne unseren Willen dazu,
wie das immer in der Geschichte so war. In der Bedrängnis stehen wir
zusammen, und da entdecken wir plötzlich unsere Kraft. Ja, wir haben
die Kraft, einen Staat, und zwar einen Musterstaat zu bilden. Wir
haben alle menschlichen und sachlichen Mittel, die dazu nötig sind.
Es wäre hier eigentlich schon der Platz, von unserem
«Menschenmaterial» zu sprechen, wie der etwas rohe Ausdruck lautet.
Aber vorher müssen die Hauptzüge des Planes bekannt sein, auf den
alles zu beziehen ist.
Der Plan
Der ganze Plan ist in seiner Grundform unendlich
einfach und muß es ja auch sein, wenn er von allen Menschen
verstanden werden soll.
Man gebe uns die Souveränität eines für unsere gerechten
Volksbedürfnisse genügenden Stückes der Erdoberfläche, alles andere
werden wir selbst besorgen.
Das Entstehen einer neuen Souveränität ist nichts Lächerliches oder
Unmögliches. Wir haben es doch in unseren Tagen miterlebt, bei
Völkern, die nicht wie wir Mittelstandsvölker, sondern ärmere,
ungebildete und darum schwächere Völker sind. Uns die Souveränität
zu verschaffen, sind die Regierungen der vom Antisemitismus
heimgesuchten Länder lebhaft interessiert.
Es werden für die im Prinzip einfache, in der Durchführung
komplizierte Aufgabe zwei große Organe geschaffen: die Society of
Jews und die Jewish Company.
Was die Society of Jews wissenschaftlich und politisch vorbereitet
hat, führt die Jewish Company praktisch aus.
Die Jewish Company besorgt die Liquidierung aller
Vermögensinteressen der abziehenden Juden und organisiert im neuen
Lande den wirtschaftlichen Verkehr.
Den Abzug der Juden darf man sich, wie schon gesagt wurde, nicht als
einen plötzlichen vorstellen. Er wird ein allmählicher sein und
Jahrzehnte dauern. Zuerst werden die Ärmsten gehen und das Land
urbar machen. Sie werden nach einem von vornherein feststehenden
Plane Straßen, Brücken, Bahnen bauen, Telegraphen errichten, Flüsse
regulieren und sich selbst ihre Heimstätten schaffen. Ihre Arbeit
bringt den Verkehr, der Verkehr die Märkte, die Märkte locken neue
Ansiedler heran. Denn jeder kommt freiwillig, auf eigene Kosten und
Gefahr. Die Arbeit, die wir in die Erde versenken, steigert den Wert
des Landes. Die Juden werden schnell einsehen, daß sich für ihre
bisher gehaßte und verachtete Unternehmungslust ein neues dauerndes
Gebiet erschlossen hat.
Will man heute ein Land gründen, darf man es nicht in der Weise
machen, die vor tausend Jahren die einzig mögliche gewesen wäre. Es
ist töricht, auf alte Kulturstufen zurückzukehren, wie es manche
Zionisten möchten. Kämen wir beispielsweise in die Lage, ein Land
von wilden Tieren zu säubern, würden wir es nicht in der Art der
Europäer aus dem fünften Jahrhundert tun. Wir würden nicht einzeln
mit Speer und Lanze gegen Bären ausziehen, sondern eine große,
fröhliche Jagd veranstalten, die Bestien zusammentreiben und eine
Melinitbombe unter sie werfen.
Wenn wir Bauten aufführen wollen, werden wir nicht hilflose
Pfahlbauten an einen Seerand stecken, sondern wir werden bauen, wie
man es jetzt tut. Wir werden kühner und herrlicher bauen, als es je
vorher geschehen ist. Denn wir haben Mittel, die in der Geschichte
noch nicht da waren.
Unseren niedersten wirtschaftlichen Schichten folgen allmählich die
nächsthöheren hinüber. Die jetzt am Verzweifeln sind, gehen zuerst.
Sie werden geführt von unserer überall verfolgten mittleren
Intelligenz, die wir überproduzieren.
Die Frage der Judenwanderung soll durch diese Schrift zur
allgemeinen Diskussion gestellt werden. Das heißt aber nicht, daß
eine Abstimmung eingeleitet wird. Dabei wäre die Sache von
vornherein verloren. Wer nicht mit will, mag dableiben. Der
Widerspruch einzelner Individuen ist gleichgültig.
Wer mit will, stelle sich hinter unsere Fahne und kämpfe für sie in
Wort, Schrift und Tat.
Die Juden, welche sich zu unserer Staatsidee bekennen, sammeln sich
um die Society of Jews. Diese erhält dadurch den Regierungen
gegenüber die Autorität, im Namen der Juden sprechen und verhanddn
zu dürfen. Die Society wird, um es in einer völkerrechtlichen
Analogie zu sagen, als staatsbildende Macht anerkannt. Und damit
wäre der Staat auch schon gebildet.
Zeigen sich nun die Mächte bereit, dem Judenvolke die Souveränität
eines neutralen Landes zu gewähren, so wird die Society über das zu
nehmende Land verhandeln. Zwei Gebiete kommen in Betracht: Palästina
und Argentinien. Bemerkenswerte Kolonisierungsversuche haben auf
diesen beiden Punkten stattgefunden. Allerdings nach dem falschen
Prinzip der allmählichen Infiltration von Juden. Die Infiltration
muß immer schlecht enden. Denn es kommt regelmäßig der Augenblick,
wo die Regierung auf Drängen der sich bedroht fühlenden Bevölkerung
den weiteren Zufluß von Juden absperrt. Die Auswanderung hat
folglich nur dann einen Sinn, wenn ihre Grundlage unsere gesicherte
Souveränität ist.
Die Society of Jews wird mit den jetzigen Landeshoheiten verhandeln,
und zwar unter dem Protektorate der europäischen Mächte, wenn diesen
die Sache einleuchtet. Wir können der jetzigen Landeshoheit
ungeheuere Vorteile gewähren, einen Teil ihrer Staatsschulden
übernehmen, Verkehrswege bauen, die ja auch wir selbst benötigen,
und noch vieles andere. Doch schon durch das Entstehen des
Judenstaates gewinnen die Nachbarländer, weil im großen wie im
kleinen die Kultur eines Landstriches den Wert der Umgebung erhöht.
Palästina oder Argentinien?
Ist Palästina oder Argentinien vorzuziehen? Die
Society wird nehmen, was man ihr gibt und wofür sich die öffentliche
Meinung des Judenvolkes erklärt. Die Society wird beides
feststellen.
Argentinien ist eines der natürlich reichsten Länder der Erde, von
riesigem Flächeninhalt, mit schwacher Bevölkerung und gemäßigtem
Klima. Die argentinische Republik hätte das größte Interesse daran,
uns ein Stück Territorium abzutreten. Die jetzige Judeninfiltration
hat freilich dort Verstimmung erzeugt; man müßte Argentinien über
die wesentliche Verschiedenheit der neuen Judenwanderung aufklären.
Palästina ist unsere unvergeßliche historische Heimat. Dieser Name
allein wäre ein gewaltig ergreifender Sammelruf für unser Volk. Wenn
Seine Majestät der Sultan uns Palästina gäbe, könnten wir uns dafür
anheischig machen, die Finanzen der Türkei gänzlich zu regeln. Für
Europa würden wir dort ein Stück des Walles gegen Asien bilden, wir
würden den Vorpostendienst der Kultur gegen die Barbarei besorgen.
Wir würden als neutraler Staat im Zusammenhange bleiben mit ganz
Europa, das unsere Existenz garantieren müßte. Für die heiligen
Stätten der Christenheit ließe sich eine völkerrechtliche Form der
Exterritorialisierung finden. Wir würden die Ehrenwache um die
heiligen Stätten bilden und mit unserer Existenz für die Erfüllung
dieser Pficht haften. Diese Ehrenwacht wäre das große Symbol für die
Lösung der Judenfrage nach achtzehn für uns qualvollen
Jahrhunderten.
Bedürfnis, Organ, Verkehr
Im vorletzten Kapitel sagte ich: «Die Jewish
Company organisiert im neuen Lande den wirtschaftlichen Verkehr.»
Ich glaube, hierzu einige Erläuterungen einschalten zu sollen.
Ein Entwurf, wie der vorliegende, ist in seinen Grundfesten bedroht,
wenn sich die «praktischen» Leute dagegen aussprechen. Nun sind die
praktischen Leute wohl in der Regel nur Routiniers, unfähig, aus
einem engen Kreis alter Vorstellungen herauszutreten. Aber ihr
Widerspruch gilt und vermag dem Neuen sehr zu schaden; wenigstens
solange das Neue selbst nicht stark genug ist, die Praktiker mit
ihren morschen Vorstellungen über den Haufen zu werfen. Als die
Eisenbahnzeit über Europa kam, gab es Praktiker, welche den Bau
gewisser Linien für töricht erklärten, «weil dort nicht einmal die
Postkutsche genug Passagiere hat». Man wußte damals die Wahrheit
noch nicht, die uns heute als eine kindlich einfache vorkommt: daß
nicht die Reisenden die Bahn hervorrufen, sondern umgekehrt die Bahn
die Reisenden hervorruft, wobei freilich das schlummemde Bedürfnis
vorausgesetzt werden muß.
In die Kategorie solcher voreisenbahnlicher «praktischer» Bedenken
wird es gehören, wenn manche sich nicht vorstellen können, wie in
dem neuen, erst noch zu gewinnenden, erst noch zu kultivierenden
Lande der wirtschaftliche Verkehr der Ankömmlinge beschaffen sein
soll. Ein Praktiker wird also beiläufig folgendes sagen:
«Zugegeben, daß die jetzigen Zustände der Juden an vielen Orten
unhaltbar sind und immer schlechter werden müssen; zugegeben, daß
die Auswanderungslust entsteht; zugegeben sogar, daß die Juden nach
dem neuen Lande wandern, wie und was werden sie dort verdienen?
Wovon werden sie Ieben? Der Verkehr vieler Menschen läßt sich doch
nicht künstlich von einem Tag auf den anderen einrichten.»
Darauf ist meine Antwort: Von der künstlichen Einrichtung eines
Verkehrs ist gar nicht die Rede, und am allerwenigsten soll das von
einem Tag auf den anderen gemacht werden. Wenn man aber den Verkehr
auch nicht einzurichten vermag, anregen kann man ihn. Wodurch? Durch
das Organ eines Bedürfnisses. Das Bedürfnis will erkannt, das Organ
will geschaffen werden, der Verkehr macht sich dann von selbst.
Ist das Bedürfnis der Juden, in bessere Zustände zu gelangen, ein
wahres, tiefes, ist das zu schaffende Organ dieses Bedürfnisses, die
Jewish Company, hinreichend mächtig: so muß der Verkehr im neuen
Lande sich in Fülle einstellen. Das liegt freilich in der Zukunft,
wie die Entwicklung des Bahnverkehrs für die Menschen der
dreißigerJahre in der Zukunft lag. Die Eisenbahnen wurden dennoch
gebaut. Man ist glücklicherweise über die Bedenken von Praktikern
der Postkutsche hinweggegangen.
>> DIE JEWISH COMPANY
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